272 Kurflirst Friedrich August I.
Künsten, seine herkulische Körperkraft, die ihm den Beinamen
des Starken verschaffte, und der in kecken Abenteuern bewährte
Muth machten ihn, wohin er kam, zum Löwen des Tags!7).
Aber es war nicht bloß das Austoben übersprudeluder Jugend-
kraft, was ihn von Genuß zu Genuß trieb, sondern ein tiefer
und dauernder Zug seines Charakters, eine unbändige Simlich-
keit, die durch Befriedigung nur von neuem gereizt, nicht ge-
sättigt wurde. Geblendet durch die Anschauung großartiger
Weltverhältnisse und namentlich durch den Glanz des versailler
Hofes, verlor er über der Bewunderung des Auslandes die
treue Liebe zu der bescheidenen Heimat. Die Prachtliebe seines
Großvaters, die Nuhmsucht seines Vaters und die Sinnlichkeit
seines Bruders vereinigten sich in ihm mit der vollendetsten Fein-
heit des geselligen Tons, und die Schmeichelei, die sich von früh
auf an ihn heftete und die zum Theil aus der hinreißenden
Liebenswürdigkeit seiner Person erklärlich wird 2), nährte in
ihm eine Selbstsucht und eitle Selbstüberhebung, die seinem
Ehrgeize den Weg nach würdigen Zielen versperrte, und wie
sehr auch das Gewinnende seiner Erscheinung die Augen der
Mitwelt blenden mochte, so wurden seine nicht gemeinen An-
lagen doch nicht ein Segen, sondern ein Verderben, wie für ihn
selbst, so für sein Land. Sein scharfer Verstand entbehrte der
Stütze eines festen Charakters, sein Streben nach Auszeichunng
scheute den Schweiß der Arbeit, seine Leidenschaften kannten
nicht die Schranke des Pflichtgefühls, seine Genußsucht keine
Rücksicht der Klugheit noch der Schicklichkeit: den kaum Ver-
mählten entführten die Frenden des Carnevals wieder nach
Venedig.
Die Pracht, mit der der neue Kurfürst die Huldigung
einnahm, bildete einen schmerzlichen Contrast zu der Noth des
1) Anekdotenhaft und unzuverlässig erzählt davon Pöllnitz, La
Suze galante (1734).
2) Das noch öster zu erwähnende Mannseript „Loes# caructeres d0o
lu cour de Pologne“, welches die Sprache der Freimüthigkeit zu reden
vorgiebt, nennt ihn „größer als Julins Cäsar und glücklicher als Alexander
den Großen“.