Die Literatur. 527
seine Neigung anzulocken, und das Zopfthum der Fachmänner
ihm jenen Widerwillen gegen alles zünftige Gelehrtenwesen ein-
flöcte, der ihn nie verlassen hat, so wurde gerade die leipziger
Philologie das befruchtende Element für seinen Geist; hier
allein war ferner für ihn die Möglichkeit vorhanden, sich jenen
allgemeinen Uberblick über das ganze Gebiet der Wissenschaften
anzueignen, durch den er so hoch über allen seinen Zeitgenossen
steht, hier erschloß sich ihm endlich auch durch die Bezichungen
zum wirklichen Theater und zu den Künstlern der neuberschen
Truppe das Wesen der dramatischen Poesie.
Es war eine merkwürdige Rührigkeit, mit der sich damals
alle einigermaßen über das Maß des Gewöhnlichen hervorragen-
den Geister auf das Gebiet der Literatur warfen; freilich blieb
dieses auch das einzige, das ihnen sich freier zu regen ver-
stattete. Jene Knospenzeit unserer nationalen Literatur ist zu-
gleich die der tiefsten politischen Abgestorbenheit und mußte es
doppelt in Sachsen sein, wo die lichtscheue brühlsche Verwaltung
jede Antheilnahme an den öffentlichen Angelegenheiten auf
das strengste verpönte 1). In Gottscheds ganzem bänder-
reichen Briefwechsel findet sich nach der Versicherung seines
Biographen kaum eine Außerung politischer Art, ein desto
ärgerer Servilismus in seinen Werken, nur daß dieser nichts
ihm Eigenthümliches, sondern etwas ganz Allgemeines und Selbst-
verständliches war 2), und wo sich einmal eine selbständigere
politische Ansicht herworwagt, da geschieht es, wie in Christs
dem Grafen Bünau gewidmeter Schrift über Machhiavell, nur
verdeckt und mit äußerster Behutsamkeit. Kein Wunder daher,
wenn auch die Satire sich nicht an diejenigen Personen und
Zustände wagte, von denen sie gerade am dreistesten heraus-
gefordert wurde. Mit Recht ist es als eine Ironie des Schick-
1) 1761 wurde ein 1735 erlassenes Verbot ernenert, ohne Vorwissen
des Gehcimen Conseils nichts ans dem jure puhlico drucken zu lassen.
2) „Da die Nothdurst des ganzen Staats“, äußert er in den An-
sangsgründen der Weltweisheit II. 272, „Niemandem so bekannt sein
kann als dem Regenten selbst, so muß es auch ihm überlassen bleiben,
wie viel jeder Bürger an Auflagen hergeben soll.“