Bauernunruhen. Reichsvicariat. 609
vertilgung sich steigerte. Da eine deshalb angeordnete Unter-
suchung die Klagen des Landmanns zwar etwas übertrieben
aber doch auch nicht ganz unbegründet fand, so gab der Kur-
fürst sofort Befehl, das Wild ohne einige Rücksicht niederzu-
schießen, ließ die Jagden vor der gewöhnlichen Jagdzeit halten
und die Bauern selbst dabei mit helfen, verbot ihnen aber auch
alle Eigenmächtigkeit ebenso wie seinen Forstbeamten alle Über-
griffe und vergütete die angerichteten Wildschäden. Obgleich
alle diese Bewegungen nach Umfang und Verlauf äußerst harm-
loser Natur waren, jeder tieferen politischen Bedeutung ent-
behrten und überhaupt gar nicht gegen die Regierung, der viel-
mehr die Aufständischen volles Vertrauen bezeigten, sondern
nur gegen die genannten Mißbräuche gerichtet waren, so be-
nutzte sie Kaiser Leopold doch, um den König von Preußen in
der Besorgniß vor der Ausbreitung des revolutionären Geistes
auf Deutschland zu bestärken und demselben eine Vereinbarung
vorzuschlagen, „daß sie, um jedes neue Symptom eines demo-
kratischen Geistes in Sachsen zu unterdrücken, sich verbindlich
machen sollten, den Kurfürsten mit Truppen zu unterstützen,
die je nach der örtlichen Lage des Schauplatzes, wo solche
Symptome sich zeigten, aus dem österreichischen oder aus dem
preußischen Gebiete herbeigezogen werden könnten“ 1).
Nur wenige Monate hatte Kaiser Leopold II. jene denk-
würdige Zusammenkunft zu Pillnitz überlebt, welche den Frieden
Europa's erhalten sollte, in Wirklichkeit aber der Ausgangspunkt
eines 23jährigen Krieges wurde. Diese sich so rasch folgenden
Erledigungen des Kaiserthrones beriefen den Kurfürsten von
Sachsen binnen 25 Monaten zweimal zur Verwaltung des
Reichsvicariats; nach Josephs II. Tode wurde zu Dresden
die gewöhnliche Vicariatscommission aus den Mitgliedern des
geheimen Consiliums, dem Kanzler, dem Präsidenten des Appel-
lationsgerichtes, zwei Hof= und Justitienräthen und zwei Appel-
lationsräthen gebildet und ihnen eine besondere Instruction
ertheilt. Zu dem alten langweiligen Streite, der sich mit
1) Herrmann a. a. O. VI, 433.
Böttiger, Geschichte Sachsens. 2. Aufl. II. 39