656
Auf die staatlichen Verhältnisse Bremen's ist der Begriff der
formellen Gesetzgebung nicht zugeschnitten. Die materielle Gesetzgebung
ist hier nicht Grund= und Eckstein der Tätigkeit der Bürgerschaft.
Nicht alle gemeinschaftlichen Beschlüsse von Senat und Bürgerschaft
sind formelle Gesetze und als solche zu behandeln; der Etat wird
durch ihren übereinstimmenden Beschluß, aber nicht durch ein Gesetz
festgestellt.
Wenn die Bremische Verfassung die Gesetzgebung zur gemeinsamen
Sache von Senat und Bürgerschaft macht und die Publikation der
Gesetze dem Senat auflegt, so versteht sie nach dem Sprachgebrauch
ihrer Zeit und nach dem Zusammenhang) zweifellos unter Gesetz-
gebung materielle Gesetzgebung, Aufstellung von Rechtssätzen für die
Untertauen. Beschlüsse von Senat und Bürgerschaft, welche diesen
Inhalt haben, sind vom Senat als Gesetze zu publizieren. Durch
die Publikation erlangen sie verbindliche Kraft. Nichts steht im
Wege, daß auch staatliche Willensakte andern Inhalts als Gesetze
behandelt und verkündet werden; sie sind dann formelle Gesetze. Ist
aber einmal eine Bestimmung im Gesetz enthalten, so kann sie auch
nur durch Gesetz abgeändert oder aufgehoben werden.2)
Von dem Satz, daß die Gesetzgebung, die Aufstellung von
Rechtssätzen durch Senat und Bürgerschaft gemeinschaftlich geschieht,
gibt es wie überall Ausnahmen. Selbst in dem kleinen Staat ist
der Gesetzgebungsapparat zu schwerfällig, um allen Bedürfnissen des
Lebens überall zu genügen. Die Verfassung bezeichnet die Ausnahmen
dadurch, daß sie dem Senat ein Recht zum Erlaß von Verordnungen
in bestimmten Grenzen überträgt.
Eine Ausnahme enthält ferner die Bestimmung, daß der Senat
im Einverständnis mit der Handelskammer und nach Vernehmung
des Kaufmannskonventes Regulative für den Handels= und Schiff-
fahrtsbetrieb und die dazu gehörigen Hilfsgeschäfte, sofern die Staats-
kasse nicht dabei beteiligt ist, erlassen kann. Die Regulative werden
meist Verwaltungsverordnungen oder schiffahrts= oder handelspolizeiliche
1) In §58b ist als Ausnahme von der gemeinsamen Gesetzgebung auf
das Polizeiverordnungsrecht des Senats Bezug genommen; die gemeinschaftliche
Verwaltung wird in den andern Abteilungen erwähnt.
2) Sogen. formelle Gesetzeskraft. Laband Bd. II S. 62 f. 8 57.
Vorrang des Gesetzes nach O. Mayer, Verwaltungsrecht II S. 72.