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der Staatsgewalt ist; sie sagt nur (§ 3 Abs. 2): „Zur Ausübung
der Staatsgewalt nach Maßgabe ihrer durch die Verfassung
bestimmten Organisation und Wirksamkeit bestehen:
A. der Senat,
B. die Bürgerschaft."
Ob man mun im Hirblick darauf, daß im Sprachgebrauch der
sämtlich auf das französische Vorbild zurückgehenden Verfassungen
scharf unterschieden wird zwischen dem Träger und dem Ausüber der
Staatsgewalt,!) das Volk als den Träger der Staatsgewalt an-
nimmt, in dessen Namen Senat und Bürgerschaft sie nur ausüben,
oder ob man Senat und Bürgerschaft auch als die selbstberechtigten
Inhaber der Staatsgewalt bezeichnet (Sievers a. a. O. S. 71) wird
praktisch ohne Bedeutung sein.) In jedem Fall würde das souveräne
Volk sich der eigenen Handlungsfähigkeit außer bei den Wahlen
begeben haben. «
Um so bedeutsamer ist der andere Satz: Die höchste Staats—
gewalt wird von Senat und Bürgerschaft gemeinschaftlich ausgeübt.
„Der Senat und die Bürgerschaft wirken in Ausübung der Staats-
gewalt gemeinschaftlich, soweit nicht verfassungsmäßig ein Anderes
festgesetzt ist.“ (Verf. § 56). Dies ist nicht leeres Prinzip, sondern
die lebendig wirksame Grundlage des Bremischen Staatswesens. Für
die Bürgerschaft folgt daraus eine grundsätzlich andere Stellung, als
die Landtage in den deutschen konstitutionellen Monarchien — auch
der Reichstag — einnehmen. In den deutschen Monarchien ist der
Monarch nach wie vor im Vollbesitz der Staatsgewalt, nur beschränkt
in der Ausübung durch die Mitwirkung des Landtags bei der Gesetz-
gebung über Freiheit und Eigentum. Der Landtag ist Gehilfe, die
Bürgerschaft Mitsouverän; in den Monarchien streitet die Vermutung
für das Recht der Krone, im Bremischen Staat für das Zusammen-
wirken von Senat und Bürgerschaft.“)
1) Rehm, Allgem. Staatslehre, VII. Abschnitt: Träger und oberster
Ausüber der Staatsgewalt S. 176 f.
2) Nach den Verfassungen von Hamburg (Art. 6) und Lübeck (Art. 4)
steht dort Senat und Bürgerschaft die Staatsgewalt zu.
3) Urteil des Hanseat. O. L. G. im Hans. G. Z. 1896 Böl. N. 67 S. 110
(für Hamburg): Spricht daher in den monarchisch regierten deutschen Staaten
die Vermutung für die Berechtigung des Trägers der Krone, so bedarf doch
in Hamburg im Zweifel jede staatliche Willensäußerung der mitwirkenden
Tätigkeit der Bürgerschaft.