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Die Gleichstellung der Bürgerschaft mit dem Senat dokumentiert
sich äußerlich darin, daß sie dem Senat unabhängig gegenübersteht.
Die Bürgerschaft hat das Selbstversammlungsrecht; der Senat kann sie
nicht zusammenberufen, nicht vertagen, nicht schließen, nicht auflösen.
Dieses Moment, das meist zum Beweis der anders gearteten
Stellung der Bürgerschaft betont wird,!) enthält freilich einen mehr
äußerlichen, formellen Unterschied. Weit wichtiger und ausschlag—
gebend für die praktische Bedeutsamkeit jenes Verfassungsgrundsatzes
ist der materielle Unterschied der Zuständigkeit. Die Bürgerschaft
wirkt nicht nur wie die Landtage bei der Gesetzgebung mit; auch die
Verwaltung ist gemeinschaftliche Sache von Senat und Bürgerschaft,
welche dabei teils durch Beschlußfassung in ihren Versammlungen,
teils durch ihre gemeinschaftlichen Ausschüsse, die Deputationen, zu-
sammenwirken (§ 59). Auch die Tätigkeit der Deputationen ist
gemeinschaftliche Wirksamkeit von Senat und Bürgerschaft; jene
äußerliche, formelle Gleichstellung erstreckt sich auch auf die Deputationen.
Die Eigentümlichkeit — und es mag auch hinzugefügt
werden der Vorzug — der Bremischen Verfassung liegt
in dem Zusammenwirken der höchsten Organe nicht nur
in der Gesetzgebung, sondern auch in der Verwaltung,
er liegt in der mit der Verfassung eng verknüpften
Selbstverwaltung.2)
Das Gesagte steht im Gegensatz zu dem, was von Melle in
seinem Hamburgischen Staatsrecht lehrt. Nach ihm (ebenso auch
Dr. G. Seelig, Hamburgisches Staatsrecht S. 60 f., 66 f.) ist der
Senat ebenso wie der Monarch in den andern deutschen Staaten
alleiniger Inhaber der Staatsgewalt, die verfassungsmäßige Mit-
inhaberschaft der Bürgerschaft ein rein theoretisches Recht ohne
praktische Bedeutung (daselbst § 12 f.). Sofern dies auch für
Bremen behauptet wird,) ist es unrichtig. In Hamburg und Lübeck
9)H.Schulze, Lehrbuch des deutschen Staatsrechts Bd. 1 S. 504; Grotefend,
das deutsche Staatsrecht der Gegenwart S. 774.
2) Unter „Selbstverwaltung“ wird sehr Verschiedenes verstanden. Man
unterscheidet einen politischen und einen rechtlichen Begriff der Selbstverwaltung
und versteht unter Selbstverwaltung im Rechtssinne dann Kommunalverwaltung.
Laband Bd. 1 S. 97 Anm. 2; Schön, das Recht der Kommunalverbände in
Preußen § 1 S. 5 f. u. a. — In dieser Arbeit ist unter Selbstverwaltung
Selbstregierung, Teilnahme der Regierten an der Regierung, genossenschaftliche
Verwaltung verstanden.
3) Dies tut von Melle S. 41 Anm. 1.