2 Geschichtliche Einleitung. 81
Nachdem der Hansabund infolge der kriegerischen Verwicklungen in Deutschland, des wirt-
schaftlichen Erstarkens anderer Länder und der Veränderung der Wege des Welthandels in Ver-
fall geraten war, vereinigten sich 1630 die 3 Städte Lübeck, Hamburg und Bremen zu einem enge-
ren Schutzbündnis, in dem sie den Namen der Hansa bewahrten. Die schwerste Krisis auch für
ihre Selbständigkeit waren die Umwälzungen, die sich an die französische Revolution anschlossen
und den Zusammenbruch des alten Reiches herbeiführten. Von den 1801 noch vorhandenen
51 Reichsstädten waren nach dem Reichsdeputationshauptschluß von 1803 nur 6 der Mediati-
sierung entgangen und von ihnen ging außer den 3 Hansestädten nur Frankfurt als selbständiges.
Gebiet aus den Umwälzungen der napoleonischen Zeit hervor. Wenn die Hansestädte diesem
Schicksal der Mehrzahl der Reichsstädte entgingen, so hatten sie es der besonderen Stellung, die
sie als Seehandelsplätze einnahmen, und daneben der geschickten Vertretung ihrer gemeinsamen
hanseatischen Interessen zu verdanken. Im Zusammenhang mit den aufkommenden Wirtschafts-
lehren von Adam Smith wird der Gedanke, daß die Unabhängigkeit der Hansestädte im Inter-
esse nicht nur Deutschlands, sondern aller am Welthandel interessierten Nationen liege, damit sie
als berufene Vermittler des Welthandels unter Leitung der regierenden Kaufleute ungehindert
dem Handel eine neutrale Stätte gewähren könnten, in zahlreichen Schriften jener Zeit verfoch-
ten 1). Diesen Gedanken wußten auch die Staatsmänner der Hansestädte den auswärtigen Mächten
Frankreich und später England gegenüber wirksam im Interesse einer kosmopolitischen Stellung
ihrer Städte zu verwerten. So gelang es ihnen zunächst auf dem Rastatter Kongreß und dann im
Reichsdeputationshauptschluß ihre Unabhängigkeit durchzusetzen. In letzterem erhielten Bremen und
Lübeck die ehemals geistlichen Besitzungen im Stadtgebiet zugewiesen; Bremen erlangte auch eine
Vergrößerung durch verschiedene Dörfer und den Ort Vegesack, bei dem weserabwärts Bremer
Kaufleute früher einen Hafen angelegt hatten; die Grenzen der Gebiete wurden damals im wesent-
lichen in dem noch heute bestehenden Umfange festgelegt. Mit dem Untergange des alten Rei-
ches — 1806 — gelangten die Hansestädte zu völliger staatlicher Selbständigkeit. Sie war frei-
lich zunächst nur von kurzer Dauer. Gegenüber den Plänen Napoleons, dem der Besitz der Hanse-
städte für sein großes Ziel, der Vernichtung des englischen Handels, von Bedeutung war, versag-
ten alle politischen Theorien und Bemühungen der Gesandten. Nachdem noch i. J. 1809 eine-
Konferenz des französischen Konsuls Reinhard mit den Vertretern der Hansestädte stattgefunden
hatte, die für die Verfassungsgeschichte dadurch bedeutsam ist, daß Ch. de Villers für sie auf Grund
amtlichen Materials zuerst eine gemeinsame Darstellung der Verfassungen der Hansestädte unter
modernen Gesichtspunkten unternahm 2), wurden sie durch kaiserliches Dekret vom 10. Dezember
1810 dem französischen Kaiserreiche einverleibt. An Stelle ihrer vielhundertjährigen Ratsverfas-
sung trat jetzt eine französische Verwaltung. Nach der Befreiung, die für Hamburg erst nach.
schweren Leiden im Mai 1814 endgültig erfolgte, nahmen die Hansestädte durch ihre Vertreter,
unter denen der Bremer Senator Joh. Smidt hervorragte 2), auf dem Wiener Kongreß an der
1) Grundlegend war: J. G. Büsch, Die politische Wichtigkeit der Freiheit Hamburgs und
ihrer Schwesterstädte Lübeck und Bremen für das ganze handelnde Europa in ein neues Licht
gestellt. Hamburg 1797. Ferner: Die Hansestädte Hamburg, Lübeck und Bremen oder welche
Vorteile erwachsen dem Gesamthandel durch deren Unabhängigkeit? 1807. J. L. v. Heß, Ueber den.
Wert und die Wichtigkeit der Freiheit der Hansestädte. 1814. (Lord Castlereagh gewidmet.) Auch
im Anhang der für den Wiener Kongreß bearbeiteten Schrift von Villers (s. unten Anm.) ein
den gleichen Gedankengang verfolgendes memoire sur le Commerce des villes Anséatiques. 1814.
Eine scharfe Erwiderung fanden diese kosmopolitischen Bestrebungen später in dem 1821 er-
schienenen „Manuscript aus Süddeutschland“, das die Hansestädte als „deutsche Barbaresken“
und „englische Faktoreien“ geradezu als ein „hors d’oeuvre im Vaterlande“ bezeichnete. Das.
Manusfkript rief andere zahlreiche Entgegnungen in den Hansestädten hervor, so: J. L. v. Heß,
Aus Norddeutschland, kein Manuscript. 1821. Haller (Hamburg), 6 Briefe über den Handel
der Hansestädte. 1821. Stork (Bremen), Ueber das Verhältnis der freien Hansestädte zum Han-
del Deutschlands. 1821. Z
2) Villers gab die Verfassungsskizzen später auf Wunsch seiner hanseatischen Freunde
für den Wiener Kongreß heraus unter dem Titel: Constitutions des trois villes libres-hanséatiques.
Lubeck, Bremen et Hambourg. 1814. Der Beschreibung der Verfassungen sind angefügt: „Ob-
Sservations générales sur les constitutions des trois villes“ und das obenerwähnten „memoire
sur le commerce“. Ueber Villers, der als Emigrant in den Hansestädten lebte: v. Bippen
in Preuß. Jahrb. 1871, S. 268 ff., Brem. Jahrb. 1877, S. 60 f. und Allgem. Deutsche Biogra-
phie; über die Entstehung der „Constitutions" speziell auch Wohlwill, „K. v. Villers und die
Hansestädte“ in Hans. Gesch.-Blättern 1909, S. 491f. # #
3) Ueber sein Wirken auf dem Kongreß und im Bundestag: O. Gildemeister in Joh.
Smidt, Ein Gedenkbuch. 1873, S. 20 ff. und Bulle, das., S. 88 ff.