Full text: Das öffentliche Recht der Gegenwart. Band XXVII. Das Staatsrecht der Freien Hansestädte Bremen und Lübeck. (27)

82 Verfassungsgeschichte. 7 
  
kämpfte für seine eigenen Rechte und die Privilegien der Elterleute. Nachdem im Juli 1820 
der Rat unter Bezeichnung bestimmter Punkte, in denen er keinesfalls nachgeben werde, die noch- 
malige Einsetzung einer Deputation beantragt hatte, blieb das Verfassungswerk liegen; die maß- 
gebenden Faktoren hatten das Interesse an dem Zustandekommen verloren. Nur auf einzelnen 
Gebieten kam es zu Reformen: Das Finanzwesen wurde 1814 durch Einrichtung einer General- 
kasse, einer Finanzdeputation und eines jährlichen Budgets vereinfacht und übersichtlich gestaltet; 
die Rechtspflege 1814 und 1820 neu geordnet 1); auf eigene Initiative des Rates trat am 22. März 
1816 ein Statut über die Ratswahlen in Kraft?), das dem Bürgerkonvent eine beschränkte Mit- 
wirkung bei der Ratswahl zugestand; endlich wurde auch die Konventsberechtigung durch Zu- 
lassung der Bürger der Neustadt erweitert und die getrennte Beratung und Abstimmung der Bür- 
ger nach Kirchspielen beseitigt 3). 
2. In Lübeck ging von vornherein das Bestreben nicht sowohl auf Schaffung einer ganz 
neuen Verfassung, als auf Abstellung der offenbaren Mängel in der Zusammensetzung der „re- 
präsentierenden Staatskörper“. Hierauf beschränkten sich denn auch die Vorschläge der im Früh- 
jahr 1814 eingesetzten gemeinschaftlichen Deputation"). Den Rat wollten 
sie auf 3 Bürgermeister und 14 Ratsherren beschränken. An Selle der alten Kollegien sollte e in 
großes Kollegium — eine Bürgerschaft — von 75 Mitgliedern treten, das aus seiner Mitte einen 
engeren Bürgerausschuß, das „Kollegium der Aelterleute“, von 15 Mitgliedern wählte. Als 
Grundlage dieser Körperschaften sollten die alten Kollegien, allerdings mit wichtigen Aenderungen, 
im einzelnen beibehalten werden, indem jedes von ihnen eine bestimmte Anzahl von Vertretern 
in die Bürgerschaft wählte. Der Rat stimmte dem Entwurf mit einigen Aenderungen zu und 
legte ihn zugleich mit einer Proposition, die eine Beteiligung der Bürgerschaft bei den Ratswahlen 
entsprechend dem Bremer Ratswahlstatut von 1816 vorsah, den bürgerlichen Kollegien vor. Diese 
aber lehnten — März 1819 — jede Reform auf Grund eines Repräsentativsystems ab, da das 
bisherige Kollegialsysteim sich vollauf bewährt habe und die Zeit zu Neuerungen wenig geeignet 
scheine. So kam es auch hier nur zu einzelnen Verbesserungen, besonders im Finanz= und Ge- 
richtswesen ). 
Wenn so die 1813 in den Hansestädten mit großen Erwartungen in Angriff genommenen 
Verfassungsreformen überwiegend im Sande verliefen ") und die Städte bis in die Mitte des 
19. Jahrhunderts unter ihrer reichsstädtischen Organisation mit der ständischen Abgeschlossenheit 
der regierenden Korporationen ein mittelalterliches Bild boten, so lag die Schuld doch nur zum 
Teil an den Städten selbst und den herrschenden Organen. Im ganzen waren die Vorgänge 
in ihnen im kleinen nur ein Spiegelbild der überall einsetzenden Reaktion. Eine selbständige, 
den Anschauungen der Großmächte zuwiderlaufende Politik konnten die Hansestädte sich auch 
im Innern nicht erlauben; auch die historisch-romantische Zeitrichtung, die in dem geschichtlich 
Gewordenen die Krone der Entwicklung sah, war durchgreifenden Neuerungen nicht günstig 7). 
und zu sehr überzeugt, daß alles, was Geist und Leben haben und behalten soll, von etwas Be- 
stehendem und Lebendigem ausgehend, im Leben erwachsen sein müsse, wird der Senat es sich 
nie zu Schulden kommen lassen, den bestehenden Organismus unseres Staates gegen eine bloß 
geschriebene Verfassung vertauscht zu haben, deren Buchstaben seinen Geist erst von der Zukunft 
erwarten soll.“ Verf.-Verh. 1818, S. 82 Anm. 
1) Gerichtsordnung v. 15. Juli 1814 und v. 13. Okt. 1820. 
2) Brem. V. 1816, S. 44. Eine rühmende Besprechung in „Eines hochedlen Raths zu Bremen 
freywillige Selbstbeschränkung in dem Rechte seine Mitglieder zu wählen“. Hamburg, 1815. 
Als wertlose Konzession des Rates sieht es an: Wurm, Verfassungsskizzen, S. 45 f. 
3) S. auch die V. in betreff des Besuchens der Bürger-Konvente v. 14. Dez. 1818 (S. 136). 
4) Gedruckt als „Verhandlungen über zwey Abschnitte, welche zur Verfassungs-Revision 
der freien Hansestadt Lübeck gehören“". Lübeck, 1817. Näheres über die Verhandlungen: Bruns, 
Verfassungsgeschichte, S. 9 f., 22 f. und Wurm, Verfassungsskizzen, S. 21 f. 
5)1 1813 erfolgte die Einsetzung des Finanzdepartements; 1816 die einer Rechnungs-Revi- 
sions-Kommission; durch V. v. 4. Mai 1814 eine Neuordnung des Gerichtswesens. 
6) In Hamburg gingen die Bestrebungen von vorne herein nur auf einzelne Reformen. 
Sie knüpften an an die Schrift von Bürgermeister Abendroth, Wünsche bei Hamburgs Wie- 
dergeburt (1814) und fanden eine Zusammenstellung in dem sog. „Testament der Zwanziger“. 
An dem ständischen Charakter der auf der Kirchspielverfassung und dem Zunftwesen beruhenden 
bürgerlichen Kollegien wurde nichts geändert; v. Melle, Hamb. Staatsrecht, S. 11 f. Nur 
die vierte der freien Städte, Frankfurt, erhielt 1816 eine neue Verfassung; darüber Schwemer, 
Gesch. der Stadt Frankfurt a. M., Bd. I (1910). 
7) Zu scharf erscheint daher das Urteil bei Preuß, Entwicklungsgesch. der deutschen Städte- 
verfassung, S. 302: „Vor allem schwelgten die drei Hansestädte in einer Restaurationspolitik, die
	        
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