Full text: Das öffentliche Recht der Gegenwart. Band XXVII. Das Staatsrecht der Freien Hansestädte Bremen und Lübeck. (27)

10 Geschichtliche Einleitung. 82 
  
dem sich die Sachlage noch durch den Tod eines Senatsmitglieds, die Weigerung des Senats, auf 
Grund des geltenden Gesetzes eine Neuwahl vorzunehmen, und die Erklärung der Bürgerschaft, 
daß sie die übrig gebliebenen Senatsmitglieder nicht mehr als verfassungsmäßigen Senat an- 
erkenne, zugespitzt hatte, erklärte der Senat am 29. März 1852 die Bürgerschaft für aufgelöst. 
Gleichzeitig erließ er eine provisorische Wahlordnung für die Wahl einer neuen Bürgerschaft ½), 
die im Mai zusammentrat. Wiederum wurde eine Deputation zur Revision der Verfassung ein- 
gesetzt; an ihren Bericht knüpften sich längere Verhandlungen, die in allen Teilen zu Kompro-= 
missen führten 2). Die vom Senat angeregten Abänderungen, die vom Bundestag als das Min- 
destmaß des Notwendigen bezeichnet waren, gaben die Grundlage für die Revision. Von einem 
Zurückgehen auf die Zustände vor 1848 war nicht die Rede; Ausmerzen der Konsequenzen der 
Volkssouveränität, Zurückdrängen des überwiegenden Einflusses der Bürgerschaft z. B. bei der 
Senatswahl in gleiche Linie mit den Rechten des Senats, Zuweisen der obrigkeitlichen Funktio- 
nen allein an den letzteren — das sind in Kürze die Neuerungen der am 21. Februar 
1854 publizierten neuen Verfassung gegenüber der von 1849. 
2. In Lübeck kam bald nach 1840 die Verfassungsbewegung wieder in Fluß 2). Zunächst 
setzten (1842) die bürgerlichen Kollegien aus ihrer Mitte eine bürger liche Verfassungs- 
revisionskommission ein. Sie beschäftigte sich im Anschluß an die Verfassungs- 
verhandlungen von 1814/17 in der Hauptsache mit der Zusammensetzung von Senat und Bürger- 
schaft. Ihren umfangreichen Bericht legte sie 1844 vor 4). In der Hauptfrage der künftigen 
Zusammensetzung der Bürgerschaft brachte sie zwei Vorschläge. Der eine wollte eine Einteilung 
nach Ständen mit Kuriatstimmen beibehalten, der andere die Bürger nach der Steuerleistung 
einteilen und den Wohlhabenderen ein persönliches Stimmrecht, den geringer Besteuerten ein 
Wahlrecht nach Klassen geben. 
Inzwischen hatte auch der Senat die Einsetzung einer gemeinsamen Kommission zur Wieder- 
aufnahme der Verfassungsverhandlungen beantragt, welchem Antrage die Bürgerschaft nach Ein- 
gang des Berichtes ihrer Kommission beitrat. In der Ende 1844 eingesetzten gemeinsamen 
Kommission ergaben sich bei Beratung der Zusammensetzung der Bürgerschaft grundsätz- 
liche Meinungsverschiedenheiten. Sie legte daher zunächst zwei Vorschläge Senat und Bürger- 
schaft zu höherer Entscheidung vor; der eine sah lediglich eine Umgestaltung der Kollegienverfas- 
sung unter Beibehaltung des persönlichen Stimmrechts der Bürger und der Kuriatstimme der 
Kollegien vor, während der andere für eine ständische Repräsentativverfassung mit einer Bürger- 
schaft, in die die Bürger, nach Ständen eingeteilt, ihre Vertreter wählten, eintrat. Senat und 
Bürgerschaft entschieden sich — Herbst 1846 — für das Repräsentativsystemm auf ständischer Grund- 
lage, ein wichtiger Fortschritt in den Verfassungsverhandlungen, da noch die bürgerliche Kom- 
mission von 1842 sich entschieden für das persönliche Stimmrecht der Bürger ausgesprochen hatte ?7). 
Auf Grundlage dieser Entscheidung setzte die gemeinsame Kommission ihre Arbeiten fort 
und reichte am 17. März 1848 dem Senat ihren Bericht mit dem Entwurf einer Verfassung ein. 
Der Entwurf kam zur rechten Zeit. Die beginnende Revolutionsbewegung fand hier anders als 
in Hamburg und Bremen, wo sie erst das Verfassungswerk neu in Anstoß brachte und dies nun 
1) Brem. Gl. 1852, S. 13; ferner durch V. v. 3. Mai 1852 S. 25 f. ein provisorisches 
Deputationsgesetz. 
2) Bericht in Brem. Verh. 1852, S. 250, 365; ferner Verh. 1853, S. 235, 289, 323, 422ff. 
3) Die Bewegung ging aus von einem Kreis junger Lübecker, die in den „Neuen Lübeckischen 
Blättern“ für ihre Sache eintraten. Sie wurde gefördert durch die der Gesellschaft zur Beför- 
derung gemeinnütziger Tätigkeit in Lübeck gewidmeten „Verfassungsstizzen“ von Dr. C. F. Wurm 
und seine darin gegebenen Anregungen. Näheres auch bei Fehling, Heinrich Theodor Behn, 
Bürgermeister der freien und Hansestadt Lübeck, 1906, S. 60 f. und über die Verhandlungen 
Bruns, Verfassungsgeschichte, S. 10 f., 22 f. — Etwa gleichzeitig setzte in Hamburg nach dem 
großen Brande eine Reformbewegung ein, deren Bestrebungen in einem Kommissionsbericht 
der Patriotischen Gesellschaft (1843) zusammengefaßt sind. Seelig, Die gesch. Entwicklung 
der Hamb. Bürgerschaft, S. 108 f. 
4) Gedruckt als „Bericht der bürgerlichen Verfassungs-Revisions-Commission“, Lübeck 1844. 
5) Sie sah „das direkte persönliche Stimmrecht als einen höchst wesentlichen Bestandteil 
der Berechtigungen des Bürgers eines Freistaates“ an (Bericht S. 58). Wichtig war, daß auch 
Wurm in seinen „Verfassungsstkizzen“ speziell seine Hamburger Mitbürger davor warnte, „den 
direkten Anteil an der Souveränität, die politische Ebenbürtigkeit mit dem Rathe für das Linsen- 
gericht einer Stimme bei der Wahl eines Repräsentanten hinzugeben“ (S. 93). Zu dem Um- 
schwung der Meinungen trug eine von Th. Behn und seinen Freunden herausgegebene Bro- 
schüre: „Die Notwendigkeit und Durchführbarkeit des reinen Repräsentativsystems bei Organi- 
sation unserer Bürgerschaft“ (Lübeck 1844) bei; Fehling a. a. O., S. 67 f.
	        
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