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„Anerkennung neuer Religionsgesellschaften“ die Mitwirkung von Senat und Bürger—
schaft erforderlich; von dieser Anerkennung aber hängt nicht die Bildung des Vereins
oder seine Rechtsfähigkeit ab, sondern nur die öffentlich-rechtliche Stellung einer
staatlich anerkannten Religionsgesellschaft.
In Lübeck können Religionsgesellschaften und geistliche Gesellschaften Rechts-
fähigkeit nur im Wege der Gesetzgebung erlangen (Lüb. AG. zum BG#B. v. 30. Okt.
1899 §1 2, III, S. 220); auch zur Gestattung der Ausübung öffentlichen Gottesdienstes
bedürfen Religionsgesellschaften, denen dieses Recht bisher nicht zustand, der Geneh-
migung von Senat und Bürgerschaft (Lüb. Verf. Art. 50 V).
b) Die Religionsgesellschaften unterliegen der Herrschaft des Staates, in dieser
Richtung bezeichnet als Kirchenhoheit, ius circa sacra. Das Aussichtsrecht
des Staates über sie wird vom Senat ausgeübt 1); in Bremen hat er für diese Zwecke
die „Senatskommission für die kirchlichen Angelegenheiten“ gebildet. Doch behält die
Brem. Verf. 5 57 d die Mitwirkung der Bürgerschaft bei der Gesetzgebung in kirch-
lichen Angelegenheiten ausdrücklich vor 2).
Die staatlich anerkannten Religionsgesellschaften bil-
den Korporationen des öffentlichen Rechtes ?). Sie genießen den Schutz des Staates,
der den Kirchen und ihren Einrichtungen zukommt. Nur sie haben ein Recht auf Be-
handlung als Kirchen, z. B. auf Gewährung der in den Steuergesetzen für diese vor-
gesehenen Befreiungen. In Lübeck unterstützt der Staat sie auch, indem er ihre
Steuern und Abgaben im Verwaltungswege beitreibt (Lüb. G. betr. die Zwangs-
vollstreckung im Verwaltungswege v. 20. März 1899 §8 1 Z. 4). Auf der anderen Seite
erstreckt sich gerade auf sie auch die staatliche Aufsicht. In Bremen beaufsichtigt der
Senat ihre Vermögensverwaltung und nimmt die jährliche Rechnungslegung ab
(Brem. Verf. § 57); in Lübeck übt die Zentralarmendeputation eine Aufsicht über
ihre Vermögensverwaltung (Regulativ v. 16. März 1857 § 8) ). Zur Bildung neuer
Gemeindeverbände hat der Senat die Genehmigung zu erteilen 5); ebenso unter-
liegen in Gemäßheit der Gemeindeordnungen bestimmte Beschlüsse und die Wahlen
der Geistlichen seiner Bestätigung.
Zu den anerkannten Religionsgesellschaften gehören außer der evangelischen Kirche,
die besonderer Behandlung bedarf (unten III), in beiden Staaten die römisch-katho-
1) So Brem. Verf. § 57 und d; auch Hamb. Verf. Art. 23. Für Lübeck folgt die Zuständig-
keit des Senats schon aus der allgemeinen Klausel in Verf. Art. 18. Als „Inhaber des Kirchenhoheits-
rechtes“ hat der Lüb. Senat auch die V. betr. Zulassung von religiösen Orden v. 20. Dez. 1905
erlassen, eine Angelegenheit, die jedenfalls in Bremen in das Gebiet der der Mitwirkung der
Bürgerschaft unterliegenden Gesetzgebung in kirchlichen Sachen fallen würde. Näheres über das
Pechältnis der Religionsgesellschaften zum Staate: Friedberg, Lehrb. des Kirchenrechts §,
2) VgPl. Friedberg, Das geltende Verfassungsrecht der evangel. Landeskirchen in Deutsch-
land, § 6, Anm. 18, S. 56.
3) Ueber die Stellung der Kirchen als öffentlich-rechtlicher Verbände: Jellinek, System,
S. 272 f. Daß die evangelischen Kirchengemeinden in Bremen eine öffentlich-rechtliche Stel-
lung einnehmen, nimmt auch das RG. in HG#. 1895, n. 127 an. Doch nähert sich in Bremen
die Stellung auch der anerkannten Religionsgemeinschaft der von privaten Vereinen. Sie sind
in weitem Maße unabhängig in der Verwaltung ihrer Angelegenheiten; andererseits überläßt
es der Staat ihnen, für ihre Bedürfnisse zu sorgen, und hat ihnen auch den Verwaltungszwang
zur Beitreibung von Kirchensteuern bisher nicht zur Verfügung gestellt.
4) Der § 8 Abs. ist für die städt. und vorstädt. Kirchen durch das Ges,. betr. die allgem. Kirchen-
kasse v. 16. Jan. 1895 (unten S. 185), § 11 aufgehoben.
5) So HG#. 1886, n. 115 f. Bremen.