Verfassung der freien und Hansestadt Lübeck.
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sonen erstrecken, welche an den Wahlen
in die Bürgerschaft teilzunehmen berech—
tigt sind.
Vierter Abschnitt.
Verfahren
bei beharrlicher Meinungsverschiedenheit
zwischen dem Senate und der Bürgerschaft.
Artikel 73.
Zeigt sich bei den Verhandlungen über
Anträge des Senates an die Bürgerschaft
oder über Anträge der Bürgerschaft an den
Senat zwischen beiden eine beharrliche
Meinungsverschiedenheit, so kommen die
nachfolgenden Bestimmungen zur An-
wendung.
Artikel 74.
Wenn zwischen dem Senate und der
Bürgerschaft über die authentische Aus-
legung bestehender Gesetze eine Meinungs-
verschiedenheit obwaltet, insbesondere,
wenn Bestimmungen der Verfassung strei-
tig sind, oder wenn ein von dem Senate
oder von der Bürgerschaft auf Grund der
Verfassung in Anspruch genommenes Recht
von dem anderen Teile bestritten wird,
so wird zuvörderst der Versuch gemacht, die
Meinungsverschiedenheit im Wege der
Verständigung zu beseitigen. Bleibt dieser
Versuch ohne Erfolg, so ist die Streitfrage
der rechtlichen Entscheidung des Hanseati-
schen Oberlandesgerichtes zu unterwerfen.
Das dabei zu beobachtende Verfahren
ist durch eine besondere Uebereinkunft
zwischen dem Senate und der Bürgerschaft
festgestellt.
Artikel 75.
Weichen dagegen die Meinungen des
Senates und der Bürgerschaft darüber
voneinander ab, was das Staatswohl
erfordere, und sind in einem solchen Falle
der Senat und die Bürgerschaft derüber-
ein stimmenden Ansicht, daßeine
Beschlußnahme ohne wesent-
lichen Nachteil für das Ge-
meinwesen keinen Aufschub
erleide,., so ist die Meinungsverschie-
denheit durch den Ausspruch einer Ent-
scheidungskommission zu beseitigen. Aen-
derungen in der Staatsverfassung dürfen
indessen niemals durch den Ausspruch einer
solchen Kommission herbeigeführt werden.
Artikel 76.
Die Entscheidungskommission wird
durch sieben Mitglieder des Senates
und siebe n Mitglieder der Bürgerschaft
gebildet. Jene werden vom Senate, diese
von der Bürgerschaft durch geheime Ab-
stimmung mittels Stimmzettel erwählt.
Artikel 77.
Diese Wahl erfolgt an demselben Tage,
an welchem sich der Senat und die Bürger-
schaft vollständig darüber geeinigt haben,
daß eine Entscheidungskommission zusam-
mentreten solle und welcher Auftrag der-
selben zu erteilen sei.
Artikel 78.
Die Mitglieder des Senates sind in-
folge ihres Ratseides, die Mitglieder der
Bürgerschaft zufolge ihres Bürgereides
verpflichtet, die auf sie gefallene Wahl an-
zunehmen. Nur für Kranke oder Abwe-
sende ist daher zu einer neuen Wahl zu
schreiten.
Artikel 79.
Die in die Entscheidungskommission
berufenen Mitglieder des Senates und der
Bürgerschaft haben spätestens in der näch-
sten nach der Wahl stattfindenden Ver-
sammlung des Senates in Gegenwart des
Bürgerausschusses folgenden Eid zu lei-
sten:
Ich gelobe und schwöre zu Gott, bei
der mir übertragenen Entscheidung der
zwischen dem Senate und der Bürger-
schaft obwaltenden Meinungsverschie-
denheit mich lediglich durch die Rücksicht
auf das Gemeinwohl leiten zu lassen,
meinen Ausspruch nur nach meinem
besten Wissen und Gewissen zu tun,
über alles, was in der Kommission ver-
handelt werden wird, namentlich auch
darüber, in welcher Weise die Entschei-
dung zustande gekommen ist, wie ich
selbst und die übrigen Mitglieder der
Kommission gestimmt haben, niemals
irgend jemandem eine Mitteilung zu
machen, vielmehr über dieses alles das
unverbrüchlichste Stillschweigen zu be-
wahren. So wahr mir Gott helfe!
Artikel 80.
Die Kommission erwählt ihren Vor-
sitzenden aus den ihr angehörigen Mitglie-
dern des Senates in geheimer Abstimmung
mittels Stimmzettel.
Artikel 81.
Die Reihenfolge, in welcher die übrigen
Mitglieder ihren Sitz einzunehmen haben,
und in welcher die Abstimmung geschieht,
wird durch das Los festgestellt. Der Vor-