Full text: Das öffentliche Recht der Gegenwart. Band XXVII. Das Staatsrecht der Freien Hansestädte Bremen und Lübeck. (27)

X Charakter der Verfassungen; Staatsgewalt. 19 
  
fassung — ebenso wie die von Hamburg — nimmt in ihren weiteren Bestimmungen 
eine genaue Abgrenzung der Kompetenzen des Senats und der Bürgerschaft vor. 
Sie gibt, ebenso wie die Lüb. Verfassung, dem Senat die Stellung des handelnden 
und vertretenden Organes und die Oberleitung der Verwaltung — die „Regierung“ —, 
während die Bürgerschaft auf die Mitbeschließung beschränkt ist. So bleibt für die 
praktische Anwendung der Vermutung der Gleichberechtigung beider Organe auch 
in Bremen nur ein enger Spielraum 1). 
Es ist auch anzuerkennen, daß in Hamburg und Bremen, nach der tatsächlichen 
Bedeutung gemessen, ein übrigens kaum durchführbares Gleichgewicht der Kräfte 
zwischen den beiden höchsten Organen nicht besteht, sondern daß, ebenso wie in Lübeck, 
der Senat das machtvollere Organ ist 2). Er hat neben seinem gemeinsamen Wir- 
kungskreis mit der Bürgerschaft ein weites Gebiet alleiniger Zuständigkeit; er allein 
übt auch die Mitregentschaftsrechte im Reiche aus. Gerade infolge der Gründung 
des Reiches ist die Machtstellung des Senates bedeutend gewachsen. Durch die Ver- 
tretung im Bundesrat ist er in die Gesellschaft der Monarchen gekommen. Durch die 
Reichsgesetzgebung sind dem Senat und den ihm allein untergeordneten Behörden 
manche Aufgaben zugefallen, die nach dem inneren Staatsrecht der Hansestädte von 
Senat und Bürgerschaft gemeinsam zu erledigen sein würden. Aber dieses tatsächliche 
Uebergewicht des Senats kann nicht dazu führen, jenem Verfassungsgrundsatz der 
Hansestädte von der gemeinschaftlichen Handhabung der Staatsgewalt durch Senat 
und Bürgerschaft seine bezeichnete, in Hamburg und Bremen auch rechtliche Bedeu- 
tung zu nehmen. 
Und wenn auch der Senat tatsächlich eine größere Machtstellung besitzt als die 
Bürgerschaft, so wäre es doch unrichtig, jenen deshalb den monarchischen Regierungen, 
die Bürgerschaft den Landtagen in den deutschen Monarchien gleichzustellen. Dabei 
würden wesentliche und grundlegende Unterschiede unberücksichtigt bleiben. Die Zu- 
ständigkeit der Bürgerschaft, ihr mittelbarer und unmittelbarer Einfluß im Staat 
ist wesentlich größer als der der Landtage. Schon die von ihr im Plenum durch Be- 
schlußfassung ausgeübte Wirksamkeit geht über die Mitwirkung bei der Gesetzgebung 
und der Bewilligung des Budgets hinaus. Sie nimmt teil auch an der Bildung des 
Regierungsorganes bei den Wahlen in den Senat, sie übt einen wichtigen Einfluß 
auch auf die Staatsverwaltung aus. An der Spitze der einzelnen Verwaltungszweige 
stehen Deputationen, aus Mitgliedern des „Senats und der Bürgerschaft gemischte 
Behörden. Bei der Wahl der bürgerlichen Deputierten hat die Bürgerschaft — aller- 
dings in den einzelnen Hansestädten in verschiedenem Umfang — mitzuwirken. Ge- 
rade in diesem Zusammenwirken von Senatoren und Bür- 
1) BVal. für Hamburg Wolffson a. a. O., S. 11. 
2) Darüber, daß bei einer Mehrheit koordinierter Organe das eine sich tatsächlich als das mäch- 
tigere erweisen wird: Jellinek, Staatslehre s, S. 550. Wie er dort ausführt, ist dies aber 
politische, nicht rechtliche Betrachtungsweise. Dies dürften v. Melle, Seelig 
und Brandis übersehen, wenn sie aus dem tatsächlichen Uebergewicht des Senats herleiten, 
daß in Hamburg entgegen dem Verfassungsgrundsatz der Senat allein Träger der Staatsgewalt 
sei. Wenn v. Melle a. a. O., S. 41, Anm. 2 und Seelig, Hamöb. Staatsrecht, S. 66 sich 
auch darauf berufen, daß der Senat die „Regierung“ sei, auch in der Brem. Verf., §+ 57 als solche 
bezeichnet werde, so wäre erst zu beweisen, daß der Senat mit diesem Ausdruck der Landesre- 
gierung eines monarchischen Staates gleichgestellt sei; über die Bedeutung des Wortes „Regierung“ 
in dem Zusammenhang unten 16. 
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