8 16 Rechtsstellung und Wirkungskreis des Senats. 45
Auch auf den Verwaltungsgebieten, die dem Senat nicht allein unterstehen,
hat er eine Aufsichtsgewalt. Diese hat einen verschiedenen Charakter, je
nach der Stellung der leitenden Behörden 1). Soweit letztere amtliche Selbständig-
keit besitzen — so die gerichtlichen Behörden, die Deputationen in Bremen, die Or-
gane der Kommunalverbände —, hat der Senat nur ein formelles Recht der „Ober-
aufsicht“. Es schließt das Recht ein, von allem Kenntnis zu nehmen und Vorstel-
lungen zur Beseitigung von Mängeln zu machen; dagegen gibt es nicht die Befugnis,
materiell in die Tätigkeit der Behörden einzugreifen, ihre Beschlüsse aufzuheben
oder zu ändern. Soweit den Behörden diese Selbständigkeit mangelt, hat der Senat
auch die materielle Leitung und Aufsicht; er kann ihre Beschlüsse ändern und ihnen
als vorgesetzte Behörde Anweisungen erteilen.
4. Der Senat hat nach der Brem. Verf. § 57i das Recht der „Begnadigung,
Milderung und Abolition in Strafsachen nach vorgängigem Gutachten des dafür
zuständigen Gerichts“ 2). Auch in Lübeck hat der Senat das Begnadigungsrecht #).
Es steht dem Senat zu in allen Sachen, in denen die Gerichte seines Staates in erster
Instanz erkennen. In den bei dem gemeinsamen Landgericht für Lübeck und das
oldenburg. Fürstentum Lübeck behandelten Sachen kann der Staat, für den das Ge-
richt fungiert hat, aus dessen Gebiet also die Strafsache erwachsen ist, begnadigen ).
5. Der Senat nimmt die staatlichen Aufsichtsrechte gegenüber den Kirchen wahr,
die Kirchenhoheit, auch die Kirchengewalt in der evangelischen Kirche (Brem. Verf.
8 57d; unten § 71).
6. Dem Senat wird eine bestimmte Summe für seine Aufgaben zur Verfügung
gestellt. In Bremen ist sie durch Gesetz auf 40 000 Mk. festgesetzt; sie soll zu „öffent-
lichen oder anderen gemeinnützigen Zwecken“ und darf nicht zu fortlaufenden Grati-
fikationen oder Gehaltsaufbesserungen von Beamten verwandt werden 5). In Lübeck
wird im Budget jährlich dem Senat eine Summe für gemeinnützige Zwecke zur
Verfügung gestellt (1914 = 13 000 Mk.); auch darf die Bürgerschaft ihre Zustimmung
zu einer nach Aufgabe des Senats erforderlichen Verstärkung der im Budget für
„Ehrenausgaben“ des Senats (1914 = 25 000 Mk.) und Kosten diplomatischer Ver-
1) Ueber die Unterscheidung: O. Mayer, Verw.-Recht II, § 45, S. 240 f. Ferner „über den
tiefgehenden Wesensunterschied dieser beiden Rechtsverhältnisse von Behörden zueinander, der
Subordination und der Aufsicht"" Preuß, Städt. Amtsrecht in Preußen, S. 303 f. Ein nur
formelles Oberaufsichtsrecht gibt dem Senat der §J 57e der Brem. Verf. „über alle ausführenden,
verwaltenden und gerichtlichen Behörden, über alle vom Staat angeordneten oder unter seiner
Obhut stehenden Anstalten“; vgl. Abs. 2 daselbst. — Ueber die verschiedene Bedeutung dieser Auf-
sicht des Senats bei den Deputationen in Bremen und Lübeck unten § 28 II. — Ueber die ent-
sprechende Unterscheidung zwischen „Oberaufsicht und Aufsicht in der Hamb. Verf.: Wulff,
Hamb. Ges. 2, Bd. I, S. 9, Anm. 5.
2) Eine Abolition in einer nurch nicht bei Gericht anhängigen Sache erscheint darnach aus-
geschlossene Verh. 1879, S. 164, 267. Ueber die bedingte Begnadigung Best. des Senats v. 27.
ug. 1912.
3) Mangels ausdrücklicher Ermächtigung folgt es schon aus der allgemeinen Stellung des Se—
nats nach Art. 18 der Lüb. Verf. Ob dem Lüb. Senat auch das Recht der Abolition ohne weiteres
zusteht, ist freilich zweifelhaft (Fleischmann, Art. „Abolition“ in Wörterb. des Staats= und
Verw.-Rechts?, Bd. 1, s 52). Ueber das Verfahreni in Begnadigungssachen: V. des Lüb. Senats
v. 6. Aug. 1879 (I. S. 330).
4) Uebereinkunft v. 8. Jan. 1879, Art. 7 (J, S. 292). Laband, St.-R.5, Bd. III, S. 515.
5) Brem. Verf. § 57; Senatsges. § 37—40, abgeändert durch Ges. v. 20. Febr. 1906 (S. 7).
Der Senat hat der Finanzdeputation jährlich über die Verwendung zu berichten. Seit 1814 wurde
als Ersatz für die ehemalige Disposition des Senats über die Reederkasse eine solche Summe zur
Verfügung gestellt.