Full text: Das öffentliche Recht der Gegenwart. Band XXVII. Das Staatsrecht der Freien Hansestädte Bremen und Lübeck. (27)

72 Die Organisation des Staates. g 26 
deputation sehen alle 3 Hansestädte Instanzen zur Beilegung von Verfassungskon- 
flikten vor 1). Die detaillierten Bestimmungen darüber 2) sind selten oder nie zur 
Anwendung gelangt, mögen aber schon durch ihr Vorhandensein zur gütlichen Ver- 
ständigung beigetragen haben. Beide Verfassungen unterscheiden: 
1. Meinungsverschiedenheitenrechtlicher Natur über die 
Auslegung der Verfassung, der Gesetze oder eines sonstigen gemeinsamen Beschlusses. 
Diese sind in beiden Staaten nach vorher zu unternehmendem Ausgleichsversuch 
dem Hanseat. Oberlandesgericht zur Entscheidung zu unterbreiten 3). Nach der bremi- 
schen Verfassung (§ 65, 66 Abs. 2) gehört dazu insbesondere auch die Frage, „ob eine 
im Wege der Polizeiverordnung erlassene Vorschrift der Gesetzgebung angehöre“; 
nach der Verfassung von Lübeck (Art. 74) der Fall, „wenn ein vom Senat oder von 
der Bürgerschaft auf Grund der Verfassung in Anspruch genommenes Recht von 
dem andern Teil bestritten wird“. 
In solchem Falle ist in Bremen eine Deputation aus 4 Mitgliedern des Se- 
nats und 7 Mitgliedern der Bürgerschaft einzusetzen"), die über Vermittlungsvor- 
schläge zu beraten und zu berichten hat. Erfolgt auch dann eine Einigung nicht, so 
werden die Akten mit den etwa noch erforderlichen Erklärungen beider Teile in be- 
stimmter Frist von der Deputation dem Senat eingereicht, der sie dem Hans. Ober- 
landesgericht zur Entscheidung übersendet. Diese Entscheidung hat die Kraft eines 
Beschlusses von Senat und Bürgerschaft, gibt also über die Bedeutung eines Urteils 
hinaus eine authentische Interpretation. 
Auch in Lübeckl ist zunächst eine „Vergleichskommission“ aus 6 Mitgliedern — 
3 vom Senat aus seiner Mitte erwählten und 3 vom Bürgerausschuß erwählten Mit- 
gliedern der Bürgerschaft — zu bilden, deren Aufgabe in dem Versuch eines Ausgleichs 
besteht (Näheres Bek. v. 7. April 1875 § 3f.). Schlägt dieser Versuch fehl, oder 
erklären Senat oder Bürgerschaft die Verhandlungen für abgebrochen, wozu jeder 
Teil berechtigt ist, wenn die Kommission die ihr zu setzende Frist zur Einreichung 
ihrer Vorschläge nicht einhält, so hat die Kommission die Akten dem Hans. Ober 
landesgericht „zum Spruche Rechtens“ zuzusenden; auch diese Entscheidung be- 
deutet eine authentische Interpretation. 
Zu einer solchen gerichtlichen Entscheidung ist es in beiden Staaten bisher noch 
nicht gekommen )). 
2. Bei Meinungsverschiedenheiten „hinsichtlich der Zweckmäßig- 
keit einer das öffentliche Wohl betreffenden Maßregel“ 
  
  
1) Ueber die Entscheidungsdeputation nach der alten Verf. in Hamburg: Westphalen, 
Hamburgs Verf. und Verw., Bd. I, S. 175 f.; Wurm, Verf.-Skizzen, S. 85 f. Motive für 
Lübeck: Ber. der bürgerl. Verf.-Rev.-K. 1844, S. 159 f. 
2) Für Bremen: Verf. § 66 und Ges. die Erledigung von Meinungsverschiedenheiten zwischen 
dem Senat und der Bürgerschaft betr. v. 1. Jan. 1894 (Ausf. Ges. IV zur Verf.). — Für Lübeck 
Verf. Art. 74 f. und Bek. die Ausführung des §& 86 (jetzt Art. 74) der revid. Verf.-Urkunde betr. 
v. 7. April 1875, mit Aenderung v. 21. Juli 1879 (1, S. 222). 
3) Bis 1879 sollte darüber in allen 3 Hansestädten das Oberappellationsgericht Lübeck ent- 
scheiden. An dessen Stelle setzten Bremen und Lübeck das Hans. OLG., Hamburg das Reichsgericht 
(Hamb. Verf. Art. 71, Z. 1). 
4) § 2 des Brem. Ges. v. 1. Jan. 1894 in der Fassung v. 28. Dez. 1904 (S. 299). 
5) Eine Vermittlungsdeputation wurde in Bremen noch 1904 aus Anlaß des Kompetenz- 
streites zwischen Handelskammer und Gewerbekammer eingesetzt, deren Vorschlag dann zu einer 
Einigung führte (unten S. 125, Anm. 7).
	        
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