Full text: Psychologie der Massen.

Anschauungen und Überzeugungen der Massen. 89 
greift bald auf die ganze Herde über. Bei den in Massen 
vereinigten Menschen werden alle Affekte sehr rasch an- 
steckend, wodurch sich die Plötzlichkeit von Paniken erklärt. 
Gehirnstörungen, wie der Wahnsinn, sind ebenfalls ansteckend. 
Es ist bekannt, wie häufig der Irrsinn bei den Psychiatern auf- 
tritt. In jüngster Zeit wurde auch von Irrsinnsiormen, z. B. 
der Platzangst, berichtet, welche vom Menschen auf Tiere 
übertragen werden. 
Die Übertragung erfordert nicht die gleichzeitige Anwesen- 
heit von Individuen an demselben Orte, sie kann auch in der 
Distanz erfolgen, unter dem Einfluß gewisser Ereignisse, durch 
die alle Geister nach derselben Richtung orientiert werden 
und die Sondermerkmale der Masse erhalten, besonders wenn 
die Geister durch die von mir erwähnten mittelbaren Faktoren 
vorbereitet sind. So hat sich z. B. der von Paris ausgegangene 
Revolutionsausbruch von 1848 in jäher Weise auf einen großen 
Teil Europas erstreckt und verschiedene Monarchien erschüttert. 
Die Nachahmung, der man so großen Einfluß auf die 
sozialen Phänomene zugeschrieben hat, ist in Wahrheit nur die 
einfache Wirkung der Übertragung. Da ich deren Einfluß 
anderwärts gezeigt habe, so beschränke ich mich auf die Wieder- 
holung dessen, was ich vor mehr als 20 Jahren sagte, und was 
seitdem von anderen Autoren in neuen Schriften ausgeführt 
wurde: 
„Gleich den Tieren ist der Mensch von Natur ein nach- 
ahmendes Geschöpf. Die Nachahmung ist für ihn Bedürfnis, 
nämlich dann, wenn dieselbe ganz leicht ist. Dieses Bedürfnis 
ist es, was die Macht dessen, was wir Mode heißen, bewirkt. 
Handle es sich nun um Meinungen, Ideen, literarische Äuße- 
rungen oder einiach um Kleider — wie viele wagen es, sich 
ihrer Herrschaft zu entziehen? Nicht mit Argumenten, sondern 
durch Vorbilder leitet man die Massen. Es gibt in jeder Epoche 
eine kleine Anzahl von Individualitäten, welche ihre Handlungs- 
weise aufzwängen, die die Masse unbewußt nachahmt. Aber 
diese Individualitäten dürfen sich nicht allzuweit von den über-
	        
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