Full text: Psychologie der Massen.

Anschauungen und Überzeugungen der Massen. 91 
Man wird bemerken, daß in Beispielen, wie ich sie an- 
führte, die Übertragung nach ihrer Geltendmachung in den 
Voliksschichten zu den oberen Gesellschaftsschichten vordringt. 
Wir sehen dies gegenwärtig bei den sozialistischen Lehren, 
welche jetzt auch jene ergreifen, die doch bestimmt sind, deren 
erste Opfer zu werden. So kräftig ist der Mechanismus der An- 
steckung, daß vor ihm selbst das Eigeninteresse schwindet. 
Daher zwingt sich jede populär gewordene Anschauung 
schließlich immer mit großer Gewalt den höchsten sozialen 
Schichten auf, so offenbar auch die Unsinnigkeit der sieg- 
haften Anschauung sein mag. Dies bedeutet eine Reaktion 
der niederen sozialen Schichten gegen die oberen, die um so 
merkwürdiger ist, als die Anschauungen der Massen stets 
einer höheren Idee entspringen, die in ihrer Geburtsstätte 
oft einflußlos gewesen war. Die von dieser höheren Idee 
begeisterten Führer bemächtigen sich ihrer, entstellen sie und 
begründen eine Sekte, die sie aufs neue entstellt und sie sodann 
im SchoßBe der sie immer weiter entstellenden Massen verbreitet. 
Einmal eine populäre Wahrheit geworden, geht sie auf irgend 
eine Weise zu ihrer Quelle zurück und wirkt dann auf die 
oberen Volksschichten. Zuletzt ist es wohl die Intelligenz, was 
die Welt leitet, aber sie leitet sie wahrlich von weitem. Lange 
sind schon die Philosophen, welchen cie Ideen ihren Ursprung 
verdanken, Staub geworden, wenn vermittels des beschriebenen 
Mechanismus ihr Gedanke schließlich triumphiert. 
$S 3. Das Prestige. 
Was besonders dazu beiträgt, den durch Behauptung, 
Wiederholung und Ansteckung verbreiteten Ideen eine sehr 
große Macht zu verleihen, ist dies, daß sie zuletzt jene geheim- 
nisvolle Gewalt erlangen, die das Prestige heißt. 
Alles, was in der Welt geherrscht hat, Ideen oder Men- 
schen, hat sich hauptsächlich durch diese unwiderstehliche 
Kraft, die das Wort „Prestige‘‘ bezeichnet, durchgesetzt. Es 
ist ein Ausdruck, dessen Sinn wir erfassen, den man aber in zu
	        
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