Klassifikation und Einteilung der Massen. 123
Assisengericht berühmter Advokat hat dieses Verfahren treff-
lich ausgeübt.
„Während seines Plaidoyers beobachtet er aufmerksam die
Jury. Der Augenblick ist günstig. Mittels seines Spürsinnes
und auf die Erfahrung gestützt, liest der Advokat die Wirkung
jeder Phrase, jedes Wortes in den Mienen und zieht daraus
seine Schlüsse. Es handelt sich vor allem darum, die dem
Falle im voraus günstigen Mitglieder zu erkennen. Der Ver-
teidiger versichert sich ihrer durch eine Handbewegung, dann
wendet er sich zu den dem Anscheine nach ungünstig gestimm-
ten Mitgliedern und bemüht sich, zu erraten, warum sie gegen
den Angeklagten eingenommen sind. Das ist der heikelste Teil
der Arbeit, denn es kann außer der Gerechtigkeit noch un-
zählige Gründe geben, einen Menschen verurteilen zu wollen.‘
Diese wenigen Zeilen bringen das Ziel der rednerischen
Kunst ausgezeichnet zum Ausdruck und zeigen uns zugleich,
warum die einstudierte Rede zwecklos ist: weil man: in jedem
Augenblick je nach dem erzielten Eindruck die Ausdrücke
ändern muß.
Der Redner braucht nicht alle Mitglieder der Jury auf seine
Seite zu bringen, sondern bloß die tonangebenden, welche die
Gesamtmeinung beeinflussen werden. Es gibt hier wie in allen
Massen eine kleine Anzahl von führenden Individuen. ‚Ich
habe‘, bemerkt der oben erwähnte Anwalt, „die Erfahrung
gemacht, daß im Momente der Urteilsfällung nur ein bis zwei
energische Männer da sein mußten, um die übrigen Geschwo-
renen mitzureißen.‘‘ Diese zwei bis drei Männer muß man
durch geschickte Suggestionen überzeugen. Das Massenmit-
glied, dem man gefällt, ist leicht zu überzeugen und durch-
aus in der Verfassung, alle ihm vorgeführten Gründe als treff-
lich zu befinden. In der interessanten Arbeit über Lachaud
finde ich folgende Anekdote:
„Wie man weiß, ließ Lachaud während der ganzen Dauer
seiner Ansprachen an die Geschworenen zwei bis drei von
ihnen, die er als einflußreich, aber spröde kannte oder glaubte,