Klassifikation und Einteilung der Massen. 127
Diese Notwendigkeit, daß der Kandidat ein Prestige, d. h.
die Macht, sich ohne Diskussion durchzusetzen, hat, ist wesent-
licher Art. Wenn die Wähler, deren Mehrheit aus Handwerkern
und Bauern besteht, so selten einen der ihrigen zum Abge-
ordneten wählen, so erklärt sich dies daraus, daß die ihrem
Stande angehörenden Personen kein Prestige bei ihnen haben.
Und wenn sie zufällig einen aus ihrer Mitte erwählen, so ge-
schieht das meistens nur aus nebensächlichen Gründen, z. B.
um einen hervorragenden Mann, einem mächtigen Fabriksherrn
wegen der Abhängigkeit, in der sich der Wähler ständig von
ihm befindet, entgegenzutreten, und so die Illusion zu bekom-
men, für einen Augenblick der Herr zu sein.
Aber der Besitz des Prestige genügt nicht zur Sicherung
des Erfolges. Der Wähler ‚hält darauf, daß man seinen Be-
gierden und Eitelkeiten schmeichelt; der Kandidat muß sich
ihm gegenüber als Speichellecker erweisen und kein Bedenken
tragen, ihm die phantastischesten Versprechungen zu machen.
Ist er ein Arbeiter, so kann man seine Chefs nicht genug be-
leidigen und schmähen. Den gegnerischen Kandidaten wiederum
muß man zu vernichten suchen, indem man durch Behaup-
tungen, Wiederholungen und Übertragung festzustellen sucht,
er sei der ärgste Schuft, von dem jeder weiß, daß er mehrere
Verbrechen auf dem Gewissen hat. Selbstredend darf man
hierbei nichts vorbringen wollen, was einem Beweise ähnelt.
Ist der Gegner ein schlechter Kenner der Massenpsychologie,
so wird er sich durch Argumente zu rechtfertigen suchen,
statt sich damit zu begnügen, Behauptung mit Behauptung
zu erwidern, und er wird dann keine Aussicht auf Sieg mehr
haben.
Das geschriebene Programm des Kandidaten darf nicht
zu kategorisch sein, weil seine Gegner es ihm später entgegen-
halten könnten, aber das mündliche Programm kann nicht über-
trieben genug sein. Die außerordentlichsten Reformen dürfen
unbesorgt in Aussicht gestellt werden. Für den Augenblick
erzielen diese Übertreibungen große Wirkung, und für die