132 Drittes Buch.
Ich will denn auch aus dem Vorstehenden nichts gegen
das allgemeine Stimmrecht ins Treffen führen. Hätte ich über
dessen Schicksal zu entscheiden, so würde ich es, so wie es
ist, erhalten, und zwar aus praktischen Gründen, die eben aus
unserer psychologischen Untersuchung sich ergeben und die
ich demgemäß darlegen werde.
Ohne Zweifel sind die Unzuträglichkeiten des allgemeinen
Stimmrechts zu sehr in die Augen fallend, als daß man sie
verkennen könnte. Es ist nicht zu bestreiten, daß die Zivili-
sationen das Werk einer kleinen Minderheit überlegener Geister
waren, welche die Spitze einer Pyramide bilden, deren Stufen
sich in dem Maße verbreitern, als der geistige Wert abnimmt,
und welche die tiefen Schichten eines Volkes darstellen. Wahr-
lich, die Größe einer Kultur kann nicht von der Welt unter-
seordneter Elemente, die nichts als die Anzahl repräsentieren,
abhängen. Auch sind ohne Zweifel die Wahlstimmen der Mas-
sen oft sehr gefährlich. Sie haben uns bereits einige Invasionen
gekostet, und mit dem Triumphe des Sozialismus werden uns
die Einfälle der Volkssouveränität gewiß noch viel teuerer zu
stehen kommen.
Aber diese in der Theorie vortrefflichen Einwände büßen für
die Praxis jede Kraft ein, wenn man sich der unüberwindlichen
Macht der zu Dogmen gewordenen Ideen erinnert. Das Dogma
der Massensouveränität ist vom philosophischen Standpunkte
aus ebensowenig zu verlechten, wie die religiösen Dogmen
des Mittelalters, aber es ist heute im absoluten Besitze der
Macht. Daher ist es ebenso unangreifbar, wie es einst unsere
religiösen Ideen waren. Man denke sich einen modernen Frei-
denker vermöge einer magischen Gewalt mitten ins Mittelalter
versetzt. Glaubt man, er würde, nachdem er die souveräne
Macht der damals herrschenden religiösen Ideen erkannt hätte,
ihre Bestreitung versucht haben? Hätte er, wenn er in die
Hände eines Richters gefallen wäre, der ihn unter der An-
schuldigung, einen Pakt mit dem Teufel geschlossen zu haben,
verbrennen lassen wollte, daran gedacht, die Existenz des Teu-