Full text: Psychologie der Massen.

2 Finleitung. 
Was aus dieser notwendig etwas chaotischen Periode ein- 
mal entspringen wird, ist nicht leicht zu sagen. Auf welchen 
Grundideen werden sich die künftigen Gesellschaften aufbauen ? 
Wir wissen es noch nicht. Schon jetzt aber sehen wir, daß 
sie bei ihrer Organisation mit einer neuen Macht, der jüngsten 
Herrscherin der Gegenwart, zu rechnen haben werden: mit 
der Macht der Massen. Auf den Ruinen so vieler einst für wahr 
gehaltener und jetzt toter Ideen, so vieler Mächte, die durch 
Revolutionen nach und nach gebrochen worden sind, hat diese 
Macht allein sich erhoben und scheint bald die anderen absor- 
bieren zu wollen. Während alle unsere alten Anschauungen 
schwanken und verschwinden und die alten Gesellschaftsstützen 
eine nach der anderen einstürzen, ist die Macht der Massen 
die einzige Kraft, die durch nichts bedroht wird und deren 
Ansehen nur wächst. Das Zeitalter, in das wir eintreten, wird 
in Wahrheit die Ära der Massen sein. 
Vor kaum einem Säkulum bestanden die Hauptfaktoren 
der Ereignisse in der traditionellen Politik der Staaten und 
in den Rivalitäten der Fürsten. Die Meinung der Massen 
zählte wenig oder meist gar nicht. Heute zählen die poli- 
tischen Traditionen, die individuellen Bestrebungen der Herr- 
scher und deren Rivalitäten nichts mehr, während im Gegen- 
teil die Volksstimme das Übergewicht erlangt hat. Sie dik- 
tiert den Königen ihr Verhalten, und sie ist es, was diese zu 
vernehmen streben. Nicht mehr in den Fürstenberatungen, 
sondern in den Seelen der Massen bereiten sich die Völker- 
schicksale vor. 
Der Eintritt der Volksklassen in das politische Leben, 
d. h. in Wahrheit ihre progressive Umwandlung zu leitenden 
Klassen, ist eines der hervorstechendsten Kennzeichen der Über- 
gangszeit. Dieser Eintritt wurde nicht durch das allgemeine 
Stimmrecht, das lange Zeit so wenig einflußreich und anfangs 
so leicht zu lenken war, markiert. Die progressive Geburt 
der Massenmacht entstand zuerst durch die Verbreitung ge- 
wisser Ideen, die langsam von den Geistern Besitz ergriffen,
	        
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