Klassifikation und Einteilung der Massen. 147
Die zweite der oben erwähnten Gefahren, die notwendige
Einschränkung der Freiheit durch die Parlamentsversamm-
lungen, ist zwar weniger sichtbar, aber doch sehr real. Sie ist
eine Folge der zahllosen, stets beschränkenden Gesetze, deren
Konsequenzen die kurzsichtigen Parlamente nicht bemerken
und für die sie stimmen zu müssen glauben.
Diese Gefahr muß wohl unvermeidlich sein, denn selbst
England, gewiß der vollkommenste Typus des parlamentarischen
Regime, wo der Abgeordnete am unabhängigsten vom Wähler
ist, vermochte nicht, ihr zu entgehen. Herbert Spencer hatte
in einer früheren Arbeit dargetan, die Zunahme der schein-
baren müsse von der Abnahme der wirklichen Freiheit begleitet
sein. In seiner späteren Schrift „Man versus state‘ nimmt er
diese These wieder auf und sagt über das englische Parlament
folgendes:
„Die Gesetzgebung hat seit dieser Zeit den von mir an-
gegebenen Lauf genommen. Sich rasch vervielfachende diktato-
rische Maßnahmen haben die stete Tendenz gehabt, die indivi-
duelle Freiheit zu beschränken, und zwar auf zweifache Weise:
gesetzliche Regelungen sind, mit jedem Jahre mehr, aufgetreten,
die dem Bürger dort, wo früher sein Handeln völlig frei war,
eine Beschränkung auferlegen und ihn zur Ausübung von Hand-
m ——
Wählerbedürfnissen entspringen. Das Gesetz betreffs der Arbeiter-
pensionen wird dem Finanzminister zufolge bald ein Jahresminimum
von 165 Millionen, nach Leroy-Beaulieu von 800 Millionen kosten. Es
liegt auf der Hand, daß die stetige Zunahme solcher Ausgaben not-
wendig zum Bankerott führt. Viele Staaten Europas: Portugal, Griechen-
land, Spanien, die Türkei sind bei ihm angelangt, andere werden es
bald sein. Aber man braucht sich nicht zu viel darım zu kümmern,
da das Publikum ohne viel Widerspruch allmählich Reduktionen von
&/, der Kuponzahlungen seitens verschiedener Länder angenommen hat.
Diese sinnreichen Bankerotte gestatten also die schnelle Wiederher-
stellung der geschädigten Budgets. Die Kriege, der Sozialismus, die
wirtschaftlichen Kämpfe bereiten uns übrigens noch viele andere Kata-
strophen, und man muß sich in unserer Epoche allgemeinen Zerfalls
damit begnügen, dahinzuleben, ohne zu sehr an das nicht in unserer
Gewalt liegende Morgen zu denken.
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