Full text: Psychologie der Massen.

Die Massenseele. 17 
So sieht man Geschworene Urteile abgeben, die jeder 
Geschworene als Einzelner mißbilligen würde, Parlamente Ge- 
setze und Maßnahmen annehmen, die jedes Mitglied als Ein- 
zelner ablehnen würde. Die Männer des Konvents waren jeder 
für sich aufgeklärte Bürger mit friedlichen Gewohnheiten. Zur 
Masse vereinigt, zauderten sie nicht, die grausamsten Vor- 
schläge zu billigen, die offenbar unschuldigsten Individuen aufs 
Schafott zu schicken und, im Gegensatz zu allen ihren Inter- 
essen, auf ihre Unverletzlichkeit zu verzichten und sich selbst 
zu dezimieren. 
Nicht bloß durch seine Handlungen weicht das Mitglied 
der Masse so stark von sich selbst ab. Schon bevor es jede 
Unabhängigkeit eingebüßt, haben sich seine Gedanken und 
Gefühle umgeiormt, und zwar so sehr, daß der Geizige zum 
Verschwender, der Skeptiker zum Gläubigen, der Ehrenhafte 
zum Verbrecher, der Hasenfuß zum Helden wird. Der Verzicht 
auf alle seine Privilegien, den in einem Augenblick des Enthu- 
siasmus der Adel in der berühmten Nacht vom 4. August 1789 
leistete, wäre sicherlich niemals von dessen Mitgliedern als 
Einzelnen angenommen worden. 
Es ist aus dem Vorstehenden zu schließen, daß die Masse 
stets dem isolierten Menschen intellektuell untergeordnet ist, 
hinsichtlich der Gefühle und der durch diese bewirkten Hand- 
lungen aber unter Umständen besser oder schlechter sein kann. 
Es hängt alles von der Art der Suggestion ab, unter der die 
Masse steht. Dies haben die Autoren, welche die Massen nur 
vom kriminologischen Gesichtspunkt aus studiert haben, voll- 
ständig verkannt. Zweifellos ist die Masse oft verbrecherisch, 
oft aber ist sie auch heldenhaft. Die Massen sind es besonders, 
die man für den Triumph eines Glaubens oder einer Idee in 
den Tod schickt, die man für Ruhm und Ehre begeistert, die 
man im Zeitalter der Kreuzzüge fast ohne Brot und Wasser 
zur Befreiung des göttlichen Grabes oder, wie im Jahre 1793, 
zur Verteidigung des vaterländischen Bodens fortreißt. Gewiß 
ein unbewußter Hleroismus, aber durch solche Heroismen 
Le Bon, Psychologie der Massen. 2
	        
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