Full text: Psychologie der Massen.

Die Massenseele. 19 
Impulse. Das isolierte Individuum kann ja denselben Reizen 
wie die Masse unterliegen, da ihm aber sein Gehirn die Un- 
zuträglichkeiten eines Nachgebens zeigt, so gehorcht es ihnen 
nicht. Physiologisch läßt sich dies dahin ausdrücken, daß das 
isolierte Individuum die Fähigkeit zur Beherrschung seiner 
Reflexe besitzt, die Masse aber nicht. 
Diese mannigfachen Impulse, denen die Massen gehorchen, 
können je nach dem Reize edel oder grausam, heroischer 
oder feiger Art sein, aber stets werden sie so gebieterisch 
sein, daß nicht das persönliche, ja nicht einmal das Interesse 
der Selbsterhaltung zur Geltung kommt. 
Da die auf eine Masse wirksamen Reize sehr variieren 
und ihnen die Massen allezeit gehorchen, so sind die letzteren 
natürlich äußerst wandelbar. Daher sehen wir sie auch im 
Augenblicke von der blutigsten Grausamkeit zum absolutesten 
Heldentum oder Edelmut übergehen. Die Masse wird sehr 
leicht zum Henker, ebenso leicht aber auch zum Märtyrer. Äus 
ihrem Herzen flossen die Ströme Blutes, die der Sieg jeglichen 
Glaubens erforderte. Man braucht nicht zu den Heldenzeitaltern 
zurückzugehen, um zu sehen, wessen in dieser Hinsicht die 
Massen fähig sind. Sie schonen in einem Aufstande niemals 
ihr Leben, und erst vor wenigen Jahren hätte ein plötzlich 
populär gewordener General, wenn er es verlangt hätte, leicht 
hunderttausend Menschen gefunden, die bereit waren, sich 
für seine Sache töten zu lassen. 
Bei den Massen ist also nichts vorbedacht. Sie können 
nach und nach die ganze Skala der entgegengesetzten Ge- 
tühle durchlaufen, stets aber werden sie unter dem Einfluß 
der Momentanreize stehen. Sie gleichen den Blättern, die der 
Sturm emporhebt, nach allen Richtungen verstreut und wieder 
fallen läßt. Beim Studium gewisser revolutionärer Massen 
werden wir für die Wandelbarkeit ihrer Gefühle einige Bei- 
spiele geben. 
Diese Wandelbarkeit der Massen macht, daß sie schwer 
zu regieren sind, insbesondere wenn ein Teil der Öffentlichen 
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