20 Erstes Buch.
Gewalt in ihre Hände gefallen ist. Würden die Erfordernisse
des Alltagslebens nicht eine Art unsichtbarer Leitung der Dinge
darstellen, dann könnten die Demokratien nicht bestehen. Wenn
auch die Massen die Dinge leidenschaftlich begehren, so wollen
sie sie doch nicht für lange; sie sind ebenso unfähig zu einem
Dauerwillen wie zum Denken.
Die Masse ist nicht bloß impulsiv und wandelbar. Gleich
dem Wilden gestattet sie nicht, daß sich etwas zwischen ihr
Begehren und die Verwirklichung dieser Begierde einschiebt.
Das versteht sie um so weniger, als ihre Menge ihr das Ge-
fühl unwiderstehlicher Macht gewährt. Für das Individuum
in der Masse schwindet der Begriff des Unmöglichen. Das
isolierte Individuum fühlt wohl, es könne nicht allein einen
Palast einäschern, einen Laden plündern, und es wird, wenn
der Versuchung ausgesetzt, dieser leicht widerstehen. Als
Massenglied aber hat es das Massenbewußtsein der Anzahl,
und es genügt die Suggestion der Vorstellungen von Mord und
Plünderung, damit es der Versuchung unverzüglich nachgibt.
Ein unerwartetes Hindernis wird mit Wut beseitigt. Erlaubte
der menschliche Organismus die Ständigkeit der Wut, so könnte
man die Wut als den normalen Zustand der gehemmten Masse
bezeichnen.
Die Erregbarkeit, Impulsivität und Wandelbarkeit der
Massen, sowie das gesamte Gefühlsleben der Völker, mit dem
wir es zu tun haben werden, werden stets durch die fundamen-
talen Rasseneigenschaften modifiziert, welche den festen Boden
bilden, in dem alle unsere Gefühle keimen. Alle Massen sind
stets reizbar und impulsiv, aber in den mannigfachsten Ab-
stufungen. Der Unterschied zwischen einer lateinischen und
einer angelsächsischen Masse z.B. ist auffallend; die jüngsten
Ereignisse unserer Geschichte beleuchten dies lebhaft. Es hat
im Jahre 1870 die Veröffentlichung eines einfachen Telegramms
mit dem Berichte über eine einem Botschafter angeblich zu-
gefügte Beleidigung genügt, einen Wutausbruch zu entfachen,
dem ein furchtbarer Krieg unmittelbar entsprungen ist. Einige