Full text: Psychologie der Massen.

36 Erstes Buch. 
Gewiß ist es oft so. Warum aber? Nur deshalb, weil 
die Instinkte zerstörerischer Wildheit Überbleibsel der Urzeit 
sind, die im Innern eines jeden von uns schlummern. Das 
isolierte Individuum Könnte in seinem Leben diese Triebe nur 
mit Gefahr befriedigen, während seine Absorption durch eine 
unverantwortliche Masse, die ihm Straflosigkeit sichert, die 
völlige Freiheit der Triebbefriedigung gewährt. Da wir diese 
Zerstörungstriebe gewöhnlich nicht gegenüber unseren Mit- 
menschen betätigen können, so beschränken wir uns auf ihre 
Betätigung den Tieren gegenüber. Aus derselben Quelle ent- 
springen die so verbreitete Jagdleidenschaft und die Grausam- 
keitsakte der Massen. Die Masse, welche ein wehrloses Opfer 
langsam zu Tode quält, bekundet eine sehr feige Grausamkeit. 
Für den Philosophen aber ist diese Grausamkeit in hohem Maße 
der der Jäger verwandt, die dutzendweise zusammenkommen, 
um das Vergnügen des Anblicks zu genießen, wie ihre Hunde 
einen unglücklichen Hirsch verfolgen und zerreißen. 
Wohl ist die Masse zu Mordtaten, Brandstiftungen, zu 
Verbrechen aller Art fähig, aber ebenso auch zu Akten hoher 
Hingebung, Aufopferung und Uneigennützigkeit, viel mehr 
sogar als das isolierte Individuum. Wenn man das Ruhm- und 
Ehrgefühl, das religiöse und patriotische Gefühl anruft, so 
wirkt man besonders auf das Individuum als Massenglied. 
Die Geschichte bietet Beispiele, welche dem der Kreuzzüge 
und dem der Freiwilligen von 1793 analog sind. Nur die 
Gesamtheiten sind hoher Uneigennützigkeit und Hingebung 
fähig. Wie viele Massen haben sich für Überzeugungen, Ideen 
und Worte, die sie kaum verstanden, heroisch hinschlachten 
lassen! Die Massen streiken oft mehr, um einer Parole zu 
gehorchen, als zur Erlangung einer Erhöhung des spärlichen 
Lohnes, mit dem sie sich begnügen. Während der persönliche 
Vorteil beim isolierten Individuum so ziemlich die einzige Trieb- 
feder ist, ist er bei den Massen sehr selten vorherrschend. 
Es ist wahrlich nicht der Eigennutz, was die Massen in so 
vielen, für ihren Verstand oft so unbegreiflichen Kriegen leitete,
	        
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