38 Erstes Buch.
gezogen, dann hätte sich vielleicht keine Zivilisation auf der
Oberfläche unseres Planeten entfaltet, und die Menschheit wäre
ohne Geschichte geblieben.
3. Kapitel.
Ideen, Urteils- und Einbildungskrafi der Massen.
S 1. Die Ideen der Masse.
In meiner früheren Arbeit, wo ich die Bedeutung der
Ideen für die Entwicklung der Völker untersuchte, habe ich
gezeigt, daß jede Zivilisation sich aus einer geringen Anzahl
selten erneuter Grundideen herleitet. Ich habe dort dargetan,
wie diese Ideen sich in der Massenseele ausbreiten, mit welcher
Schwierigkeit sie in sie eindringen und welche Macht sie dann
gewinnen. Wir sahen schließlich, wie die großen historischen
Erschütterungen meistens aus der Veränderung dieser Grund-
ideen entspringen.
Da ich diesen Gegenstand hinlänglich behandelt habe, so
werde ich hier nicht auf ihn zurückkommen, und ich will mich
darauf beschränken, einiges betrefis der den Massen zugäng-
lichen Ideen und der Formen, in welchen sie dieselben erfassen,
zu sagen.
Man kann sie in zwei Klassen einteilen. Zu der einen
zählen wir die unter dem Einflusse des Augenblickes ent-
standenen zufälligen und flüchtigen Ideen, z. B. die Vorliebe für
eine Person oder eine Lehre, zur anderen die Grundideen,
denen das Milieu, die Vererbung, der Glaube eine sehr große
Stabilität verleihen, wie z. B. die religiösen Glaubenssätze von
ehemals, die demokratischen und sozialen Ideen von heute.
Man kann sich die Grundideen als die Wassermasse eines
langsam dahinströmenden Flusses, die flüchtigen Ideen als die
kleinen, immer wechselnden Wellen vorstellen, welche seine
Oberfläche erregen und welche, wiewohl ohne wirkliche Be-
deutung, sichtbarer sind als der Flußlauf selbst.
In der Gegenwart geraten die Grundanschauungen, von