Full text: Psychologie der Massen.

44 Erstes Buch. 
noch des logischen Denkens fähig sind, kennen das Unwahr- 
scheinliche nicht. Nun sind aber gerade die unwahrschein- 
lichsten Dinge in der Regel die am meisten auffallenden. Daher 
werden die Massen stets durch die wunderbaren und legendären 
Seiten der Ereignisse am stärksten ergriffen. Bei der Analyse 
einer Zivilisation findet man, daß das Wunderbare und 
Sagenhafte in Wirklichkeit die ganze Stütze derselben ist. In 
der Geschichte hat der Schein allezeit eine größere Rolle als 
die Wirklichkeit gespielt. Das Irreale hat stets den Vorrang 
vor dem Realen. 
Die Massen können nur in Bildern denken und lassen sich 
nur durch Bilder beeinflussen. Bloß diese schrecken oder ver- 
führen sie und werden zu Motiven ihres Handelns. 
So haben denn auch die Theatervorstellungen, die das 
Bild in klarster Sichtbarkeit geben, auf die Massen stets einen 
ungeheuren Einfluß. Brot und Spiele bildeten dereinst für 
den römischen Plebs das Glücksideal, über das ihm nichts 
eing. Und dieses Ideal hat sich im Laufe der Zeiten wenig 
ceändert. Durch nichts wird die Phantasie der Massen aller 
Art so stark erregt als durch Theatervorstellungen. Die ganze 
Versammlung empfindet gleichzeitig dieselben Gefühle, und 
wenn sich diese nicht sofort in Handlungen umsetzen, so ge- 
schieht das eben nur deshalb, weil auch der unverständlichste 
Zuschauer nicht im Zweifel sein kann, daß er das Opfer einer 
Illusion ist und daß er über Abenteuer, die nur in der Phan- 
tasie bestehen, gelacht oder geweint hat. Oft aber sind die 
durch die Bilder ausgelösten Gefühle so stark, daß sie, gleich 
den gewöhnlichen Suggestionen, die Tendenz zur Umsetzung 
in Handlungen aufweisen. Wiederholt wurde die Geschichte 
von jenem Volkstheater erzählt, welches nur Trauerspiele auf- 
führte und den Schauspieler, der die Rolle des Verräters inne- 
hatte, nach Vorstellungsschluß beschützen mußte, um ihn den 
Angriffen der über die, wenn auch nur imaginären, Verbrechen 
dieses Verräters empörten Zuschauer zu entziehen. Es ist 
dies meiner Meinung nach eines der markantesten Beispiele
	        
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