Full text: Psychologie der Massen.

viu Vorwort. 
solche, daß man sie nicht in ihrer Gesamtheit umfassen und 
die Wirkungen ihrer wechselseitigen Beeinflussung voraussagen 
kann. Auch scheinen sich hinter den sichtbaren Tatsachen oft: 
tausende unsichtbare Ursachen zu verbergen. Die sichtbaren 
sozialen Tatsachen scheinen die Resultante einer riesigen un- 
bewußten Wirksamkeit zu sein, die nur zu oft unserer Äna- 
lyse unzugänglich ist. Die wahrnehmbaren Phänomene lassen 
sich den Wogen vergleichen, welche der Oberfläche des Ozeans 
die unterirdischen Erschütterungen mitteilen, deren Sitz er ist 
und die wir nicht kennen. In der Mehrzahl ihrer Handlungen 
bekunden die Massen zumeist eine absonderlich niedrige -Gei- 
stigkeit; aber in anderen Handlungen scheinen sie von jenen 
geheimnisvollen Kräften geleitet, welche die Alten Schicksal, 
Natur, Vorsehung hießen, die wir die Stimmen der Toten nennen 
und deren Macht wir nicht verkennen können, so unbekannt 
uns auch ihr Wesen ist. Oft scheint es, als ob im Schoße der 
Völker latente Kräfte stecken, die sie leiten. Was gibt es z.B. 
Komplizierteres, Logischeres, Wunderbareres als eine Sprache? 
Und woher anders entspringt dennoch dieses so wohl orga- 
nisierte und subtile Ding als aus der unbewußten Massenseele? 
Die gelehrtesten Akademien registrieren nur die Gesetze dieser 
Sprachen, könnten sie aber nicht schaffen. Selbst die genialen 
Ideen der großen Männer — wissen wir sicher, ob sie aus- 
schließlich deren Werk sind? Gewiß sind sie stets Produkte 
einzelner Geister, aber die tausenden Körnchen, welche den 
Boden zur Keimung dieser Ideen bilden, hat nicht die Massen- 
seele sie erzeugt? 
Ohne Zweifel wirken die Massen stets unbewußt, aber 
dieses Unbewußte selbst ist vielleicht eines der Geheimnisse 
ihrer Kraft. In der Natur vollbringen die nur aus Instinkt tätigen 
Wesen Handlungen, deren wunderbare Kompliziertheit uns 
staunen läßt. Die Vernunft ist für die Menschheit noch zu neu 
und unvollkommen, um uns die Gesetze des Unbewußten zu 
enthüllen und besonders, um dieses zu ersetzen. In allen 
unseren Handlungen ist der Anteil des Unbewußten ungeheuer,
	        
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