Full text: Psychologie der Massen.

46 Erstes Buch. 
Alles, was die Phantasie der Massen erregt, stellt sich 
in der Form eines packenden und klaren Bildes dar, das allen 
Nebensinnes bar ist oder nur einige wunderbare oder geheim- 
nisvolle Tatsachen im Gefolge hat: einen großen Sieg, ein 
eroßes Wunder, ein großes Verbrechen, eine große Hoffnung. 
Hundert kleine Verbrechen oder hundert kleine Unfälle werden 
auf die Massenphantasie nicht die geringste Wirkung ausüben, 
wohl aber wird jene durch ein einziges großes Verbrechen, 
einen einzigen großen Unfall, möge er auch viel weniger möÖr- 
derisch als die hundert kleinen Unfälle zusammengenommen 
sein, tief erschüttert. Die Influenzaepidemie, infolge deren vor 
einigen Jahren in Paris fünftausend Menschen innerhalb weniger 
Wochen starben, machte auf die Volksphantasie wenig Eindruck. 
Freilich ward diese wahre Hekatombe nicht durch ein sicht- 
bares Bild kenntlich, sondern nur durch die täglichen statisti- 
schen Berichte. Ein Unfall, der statt fünftausend nur fünf- 
hundert Menschenleben verschuldet hätte, aber dies an einem 
einzigen Tage, auf einem Öffentlichen Platze, in recht sichtbarer 
Weise, z. B. der Zusammenbruch des Eiffelturmes, würde im 
Gegenteil einen ungeheuren Eindruck auf die Einbildungskraft 
ausgeübt haben. ‘Der wahrscheinliche Verlust eines Ozean- 
fahrers, von dem man irrtümlich glaubte, er sei auf hoher See 
untergegangen, erregte die Massenphantasie acht Tage lang 
außerordentlich. Nun zeigt die Statistik, daß in demselben 
Jahre tausend große Schiffe verloren gingen. Äber um diese 
sukzessiven Verluste, die doch viel größere Menschenleben- und 
Warenzerstörungen bedeuten, als bei dem erwähnten Ozean- 
fahrer hätten vorkommen können, kümmerten sich die Massen 
nicht einen Augenblick. 
Nicht die Tatsachen als solche sind es also, was die Volks- 
phantasie erregt, sondern die Art und Weise, wie sie sich ver- 
teilen und darstellen. Sie müssen sozusagen durch ihre Verdich- 
tung ein packendes Bild, welches die Seele erfüllt und ergreift, 
bewirken. Wer die Kunst, die Einbildungskraft der Massen zu 
erregen, kennt, der kennt auch die Kunst, sie zu regieren.
	        
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