Full text: Psychologie der Massen.

54 Zweites Buch. 
die sozialen Suggestionen des Augenblicks dar. Sie können von 
erheblichem Einflusse sein, aber dieser Einfluß ist stets, wenn 
er den Rassensuggestionen, d. h. der ganzen Ahnenreihe ent- 
gegengesetzt ist, ein momentaner. 
In mehreren Kapiteln dieses Werkes werden wir noch 
Gelegenheit nehmen, auf den Einfluß der Rasse zurückzu- 
kommen und darzutun, daß derselbe so groß ist, daß er die 
Sondermerkmale der Massenseele beherrscht. Daraus ergibt 
sich der Umstand, daß die Massen verschiedener Länder in 
ihrem Glauben und Verhalten sehr beträchtliche Unterschiede 
aufweisen und nicht auf die gleiche Weise zu beeinflussen sind. 
S$S 2. Die Tradition. 
Die Tradition umfaßt die Ideen, Bedürfnisse und Gefühle 
der Vorzeit. Sie ist die Synthese der Rasse und lastet mit 
ihrem ganzen Gewichte auf uns. 
Seitdem die Embryologie den ungeheuren Einfluß der Ver- 
gangenheit auf die Entwicklung der Wesen gezeigt hat, haben 
sich die biologischen Disziplinen gewandelt, und die historischen 
Wissenschaften werden es ebenso, sobald dieser Gedanke ver- 
breiteter sein wird. Noch ist er es nicht hinreichend, und viele 
Staatsmänner stehen noch auf dem Standpunkte der Theoretiker 
des verflossenen Jahrhunderts, welche glaubten, eine Gesell- 
schaft könne mit ihrer Vergangenheit brechen und ganz neu 
organisiert werden, rein durch die Kraft der Vernunift. 
Ein Volk ist ein durch die Vergangenheit geschaffener 
Organismus, der, wie alle Organismen, sich nur mittels lang- 
samer Erbansammlungen verändern kann. 
Was die Menschen, besonders wenn sie zu Massen vereinigt 
sind, leitet, ist die Überlieferung; nur die Namen, die äußeren 
Formen derselben ändern sich leicht, wie ich schon betonte: 
Das ist nicht zu bedauern. Ohne Überlieferung keine 
Volksseele, keine Zivilisation. So bestanden denn auch die 
zwei großen Beschäftigungen des Menschen seit seinem Auf- 
freten in der Schaffung eines Netzes von Überlieferungen und
	        
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