Anschauungen und Überzeugungen der Massen. 71
Probleme enthielten. Sie sind eben die Synthese der verschie-
densten unbewußten Erwartungen und der Hoffnung auf deren
Verwirklichung.
Mit Vernunit und Argumenten kann man gegen gewisse
Worte und Formeln nicht ankämpfen. Man spricht sie mit
Andacht vor den Massen aus, und sogleich werden die Mienen
respektvoll und die Köpfe neigen sich. Von vielen werden
sie als Naturkräfte oder als übernatürliche Mächte betrachtet.
Sie rufen in den Seelen grandiose und vage Bilder hervor, aber
eben das Vage, das sie verwischt, vermehrt ihre magische Ge-
walt. Sie lassen sich mit jenen furchtbaren Gottheiten ver-
gleichen, die hinter dem Allerheiligsten verborgen sind und
denen man sich nur mit Zittern nähert.
Da die durch die Worte hervorgerufenen Bilder unabhängig
von deren Sinn sind, so wechseln sie mit dem Alter, mit den
Völkern bei Identität der Formulierung. An bestimmte Worte
heiten sich vorübergehend bestimmte Bilder; das Wort ist nur
der Hebel, der sie erscheinen läßt.
Nicht alle Worte und Formeln besitzen die Macht, Bilder
hervorzurufen, und es gibt solche, die nach der Evokation sich
abnützen und in der Seele nichts mehr erwecken. Sie bleiben
dann bloße Schälle, deren Hauptnutzen darin besteht, jenen,
die von ihnen Gebrauch machen, das Denken zu ersparen. Mit
einem kleinen Vorrat von Formeln und Gemeinplätzen, die wir
in der Jugend erlernten, besitzen wir alles, was man braucht,
um ohne die ermüdende Notwendigkeit, über irgend etwas
nachdenken zu müssen, durchs Leben zu gehen.
Betrachtet man eine bestimmte Sprache, so sieht man, daß
die Wörter, aus denen sie sich zusammensetzt, sich im Laufe
der Zeit ziemlich langsam verändern. Aber unaufhörlich ver-
ändern sich die Bilder, die sie hervorrufen, oder der Sinn,
der sich an sie heftet, und daher bin ich in einer anderen
Schrift zu dem Schlusse gekommen, daß, besonders bei toten
Sprachen, die vollkommene Übersetzung aus einer Sprache
völlig unmöglich ist. Was tun wir denn in Wirklichkeit, wenn