Anschauungen und Überzeugungen der Massen. 85
Innerhalb der Führerklassen läßt sich eine ziemlich scharfe
Schnittlinie ziehen. Zu der einen gehören die energischen,
willensstarken, aber nicht ausdauernden Menschen; zur anderen,
die viel seltener ist als die andere, die Menschen eines starken
und langen Willens. Die ersteren sind heftig, tapfer, kühn. Sie
taugen besonders zur Leitung eines Handstreichs, die Massen
trotz der Gefahr mitzureißen und die jungen Rekruten in
Helden zu verwandeln. So waren z. B. im ersten Kaiserreich
Ney und Murat. So auch, zu unserer Zeit, Garibaldi, ein talent-
loser, aber energischer Abenteurer, dem es gelang, mit einer
Handvoll Menschen sich des ehemaligen Königreichs Neapel
zu bemächtigen, obwohl es von einer disziplinierten Armee ver-
teidigt ward.
Die Energie dieser Führer ist zwar gewaltig, aber vor-
übergehend und überdauert nicht den Reiz, dem sie ent-
sprang. Ist der Held in den Strom des gewöhnlichen Lebens
zurückgetaucht, so bekundet er, der früher so feurig war, die
erstaunlichste Schwäche. Er erscheint unfähig, in den einfach-
sten Verhältnissen nachzudenken und sich richtig zu verhalten,
da er doch vorerst die anderen so gut zw leiten verstand. Es
sind Führer, die ihre Funktion nur unter der Bedingung aus-
üben können, daß sie selbst beständig geführt und ange-
trieben werden, stets einen Menschen oder eine Idee über sich
haben, einer scharf gezogenen Verhaltungslinie folgen.
Die zweite Kategorie der Führer, die der Menschen von
langem Willen, übt trotz ihrer weniger glänzenden Formen
einen erheblicheren Einfluß aus. In ihr finden sich die echten
Stifter von Religionen oder großer Werke: Paulus, Mohammed,
Kolumbus, Lesseps. Mögen sie intelligent oder beschränkt
sein, stets wird die Welt für sie sein. Der Dauerwille, den
sie besitzen, ist eine unendlich seltene und mächtige Eigen-
schaft, vor der sich alles beugt. Man ist nicht immer im
klaren darüber, was ein starker und stetiger Wille vermag;
nichts widersteht ihm, weder die Natur, noch die Götter, noch
die Menschen.