110 I. Abschnitt. Das Verkehrswesen im allgemeineu.
In dem zuletzt gesagten liegt schon ein Hinweis auf den Einfluß,
den die Höhe der Frachtpreise auf den Umfang des Verkehrs ausübt.
Im allgemeinen kann man es als wahrscheinlich bezeichnen, daß der
Verkehr mit der Steigerung der Frachtsätze sinken und mit der Ver-
minderung der Frachtsätze wachsen wird, ganz ebenso, wie steigende
Warenpreise die Nachfrage vermindern und sinkende Warenpreise die
Nachfrage vermehren. Indes kann beides nur mit Einschränkungen
gelten. Die Steigerung der Frachtsätze kann den Umfang des Verkehrs
nicht genau in dem Verhältnisse vermindern, wie die Sätze steigen.
Wäre es anders, 8o mühte bald ein Punkt eintreten, an welchem der
Verkehr überhaupt aufhört. Ginge der Verkehr in demselben Verhält-
nisse herunter, wie die Preise steigen, so würde bei einer Preissteigerung
um 50 Prozent der Verkehrsumfang auf die Hälfte des bisherigen fallen,
und bei Verdoppelung des Frachtpreises mübßte der Verkehr — 0 verden.
Das ist nicht der Fall aus dem einfachen Grunde, weil das Verkehrs-
bedürfnis sich zwar ausdehnen und einschränken, aber nicht ganz auf-
heben läht. Ein gewisses Maß von Verkehrsleistungen ist unbedingt
notwendig, und dieses notwendige Masß muß verwirklicht werden, auch
wenn die Preise der Verkehrsleistungen hoch stehen. Uberdies ist nicht
zu übersehen, dab bei Beförderungsgegenständen von hohem Werte der
Frachtsatz nur einen kleinen Bruchteil des Wertes ausmacht, also eine
Erhöhung des Frachtsatzes hier weit weniger Einfluß ausübt, als bei
geringwertigen Gütern.
Aber auch die Verkehrsvermehrung bei sinkenden Frachtsätzen
kann nicht in demselben Verhältnisse vor sich gehen. wie die Peise
sinken. Der Verkehr wächst nicht stets sofort um das zehnfache, wenn
die Frachten auf 1/10 herabgesetzt werden. Schon früher ist betont
worden, daß die „verkehrschaffende Wirkung“ der Verkehrsverbilligung
ihrem Umfange nach abhängig ist von dem Mabe des vorhandenen und des
hervorzurufenden Verkehrsbedürfnisses, und dab dieses Verkehrsbedürfnis
mit den gesamten wirtschaftlichen und sonstigen Verhältnissen des Volkes
zusammenbängt. Die Weckung des schlummernden Verkehrsbedürfnisses
ist immer an bestimmte Grenzen gebunden, die mit den natürlichen und
Wirtschaftlichen Verhältnissen zusammenhängen. Der Personenverkehr
läht sich bei sonst gleichen Verhältnissen in bevölkerungsschwachen
Ländern auch mit starken Preisermäßigungen nicht so ausdehnen, wie
in dicht bevölkerten, und die Steigerung des Güterverkehrs infolge von
Frachtermähbßigungen findet schlieblich stets ihre Grenze an der Möglich-
keit und Gelegenheit des beteiligten Gebiets zur Gütererzeugung und
Güterverwertung. Uberdies spricht bier noch mehr als die Höbe der
Frachtkosten mit. Bei einem nur mangelhaft entwickelten Verkehrsnetz
ist die Gelegenbeit zu dessen reichlicherer Benutzung beschränkt, und
die Herabsetzung der Frachten kann hier nicht so auf den Umfang des