3. Kapitel. Die Wirkungen des vervollkommneten Verkehrswesens. 45
menschliche Arbeitsleistungen nötig, als die früheren weniger entwickelten
Zustände.
Dab gerade die am wenigsten leistungsfähigen Volksschichten. verhält-
nismäßig den größten Vorteil aus der Verbesserung des Verkehrswesens
gezogen baben, ist nicht zu verkennen. Gerade für diese muhte z. B.
die Verbilligung des Preises der Personenbeförderung besonders ins Gewicht
fallen. Und in der Tat zeigt sich, daß die Kreise, die mit ihren Mitteln
sehr haushalten müssen, die meisten Fahrgäste der Eisenbahnen stellen. Die
unteren Wagenklassen (III—IV) werden viel mehr benutzt als die oberen,
und ihre Bedeutung hat sich neuerdings so gesteigert, dabß sie jetzt über
9/10 aller beförderten Personen und 1/20 aller geleisteten Personenkilometer
nach der deutschen Eisenbahnstatistik aufweisen. Die vierte Klasse
allein, die 1880 nur 1/6 aller beförderten Personen aufnahm, fährt jetzt
fast die Hälfte, und an ihre Masse von 725 Mill. Personen reicht die ihr
früber überlegene III. Klasse (606 Mill.) nicht mehr heran; die II. Klasse
mit 118 und die I. Klasse mit 2 ½ Mill. fallen stark dagegen ab. Die
durchschnittliche Beförderungsstrecke jedes Reisenden ist in den letzten
30 Jahren in Deutschland in der IV. Klasse von rund 32 auf 21,4 km
gesunken, in der III. Klasse von 25 auf 21,5 Kkm. Das beweist, dab
der größte Teil des Eisenbahnpersonenverkehrs auf den Nahverkehr
in den unteren Wagenklassen entfüällt.
Hiernach ist durch die neuen Verkehrsmittel, insbesondere durch
die neuen Eisenbahnen, gerade den breiten wirtschaftlich schwächeren
Schichten des Volkes die Verbilligung des Reisens zugute gekommen.
Sie sind in eine viel größere Beweglichkeit gelangt, als sie früher
bestand. Die alte Gebundenheit ist auch zugunsten der schwächeren
Schichten gelöst; ihre Fesselung an die Scholle ist beseitigt. War diese
Fesselung bei ihnen stets größer als bei anderen Volksschichten, so
mußte auch die Beseitigung dieser Fesseln hier am stärksten auf die
gesellschaftlichen Verhältnisse einwirken. Der Kreis, in welchem der
Arbeiter nach Arbeitsgelegenheiten suchen kann, ist wesentlich erweitert.
Findet er an der bisherigen Wohnstätte keine genügend lohnende Be-
schäftigung, so kann er mit viel geringeren Kosten und Umständen und
Zeitverlusten als sonst sein Heil anderswo versuchen. Dem Wohl-
habenden und Reichen war es immer möglich, seine Kraft und seine
Mittel an der Stelle zu verwenden, wo sie den besten Ertrag versprachen.
In diese Möglichkeit ist auch der Arbeiter zwar noch nicht völlig, aber
doch schon in wesentlichem Maßbe hineingewachsen, und darin liegt einer
der größten Fortschritte für die Verhältnisse der Arbeiter. Es ist nicht
zu verkennen, daß der Ubergang zur Geldlöhnung bierbei ebenfalls eine
große Rolle spielt. Aber die auf letzterem Wege zu erzielende gröbere
Beweglichkeit der Arbeiter würde bei unvollkommenen Verkehrsmitteln
nur gering geblieben sein; ihre wahre Bedeutung konnte sie erst da-