4. Kapitel. Die Tarife im Post- und elektrischen Nachrichtenverkehr. 623
Dem Verlangen nach billigen Telegraphentarifen ist im Laufe der
Zeit in erheblichem Mabße entsprochen worden. 1819 kostete eine ein-
fache Depesche von Berlin bis Aachen 16 M. 10 Pf., heute kosten zehn
Worte 50 Pf.
Daß die Bemessung der Gebühren nach den Selbstkosten des ein-
zelnen Falles unmöglich ist, ergibt sich ohne weiteres aus den früheren
Ausführungen. Das bedingt aber nicht, dab der Einfluß der sonst etwa
in Betracht kommenden Umstände auf die Selbstkosten ganz unbeachtet
bleibt.
Von den verschiedenen Umständen, die auf die Höhe des Tarifes
an sich einwirken können, kann die Leistungsfähigkeit der Benutzer
nicht in Frage kommen, da es nicht durchführbar ist, über diesen Punkt
genauere Aufschlüsse zu erhalten.
Auch die Entfernung kann jetzt auber Betracht bleiben, obwobl sie
früher eine nicht geringe Rolle bei der Gestaltung der Telegraphentarife
spielte. Schon in den 50 er Jahren haben verschiedene kleine Staaten,
wie die Schweiz, Sachsen, die Niederlande, Belgien, von Entfernungs-
stufen abgesehen. Der Wert der Nachrichtensendung für den Absender
wird durch die Entfernung nicht in mabßgebender Weise beeinflußt. Für
den Absender kommt es viel mehr darauf an, welches Bedürfnis er hat,
die Nachricht zu befördern. Ist das Bedürfnis sehr dringend, so wird
er auch geneigt sein, mehr für das Telegramm auszugeben. Die Dring-
lichkeit des Bedürfnisses hängt nun aber nicht mit der Entfernung zu-
sammen. Für den Absender, der von Potsdam aus nach Berlin eine
Nachricht telegraphisch zu senden hat, kann ihre schnellste Beförderung
wichtiger sein als für den, der von Eydtkuhnen nach Aachen telegraphiert.
Eine andere Frage ist, ob die Entfernung nicht in fühlbarer Weise
die Eigenkosten der Telegraphenverwaltung beeinflubt.
Ein solcher Einfluß der Länge der Beförderungsstrecke könnte nur
bei den eigentlichen Streckenkosten in Betracht kommen. Dazu gehört
zunächst der Aufwand für Fortbewegung der Nachricht auf der Strecke,
genauer gesagt, für das Flieben des elektrischen Stromes durch den
Leitungsdraht. Der Aufwand dafür ist nicht meßbbar. Würde
nur zwischen zwei unmittelbar miteinander verbundenen Stellen
telegraphiert, so würde dieser Teil der Streckenkosten gar nicht in Frage
kommen. Anders wird es dadurch, daß auf vielen Strecken die Mit-
wirkung der Zwischenstellen nötig ist. Dadurch erwächst zwar kein
Aufwand für die Fortbewegung als solche, wohl aber schieben sich
Abfertigungsarbeiten zwischen Anfangs- und Endstelle ein, die durch
die Länge der Strecke veranlaßt werden. Diese Kosten stehen aber
keineswegs in genauem Verhältnis zur Länge der Beförderungsstrecke.
Sie hängen vielmehr von der Lage der Anfangs- und Endstelle sowie
von der Art der zwischen beiden bestehenden Leitung ab.