3. Kapitel. Die Wirkungen des vervollkommneten Verkehrswesens. 57
das nicht ausschlieblich für das Verkehrswesen in Betracht Kommt, hat
die Entwickelung des neuen Verkehrswesens einen sehr großen Einfluß
gehabt, da gerade bei umfangreichen Verkehrsanlagen die Enteignung
eine wichtige Stelle einnimmt.
Die Einwirkungen des neuen Verkehrswesens gehen aber noch
viel weiter. Schon oben ist angedeutet, dalß die Ausbildung des heutigen
Verfassungsstaats auf dem europäischen Festlande durch das neuzeitliche
Verkebhrswesen bedeutend gefördert worden ist. Im engsten Zusammen-
hange damit steht die Befreiung der öffentlichen Meinung, die ibhrerseits
erst durch das neue Verkehrswesen grobgezogen und zu ihrer jetzigen
Bedeutung gebracht worden ist, von den Fesseln der amtlichen Uber-
wachung (der Zensur). Ein Prebrecht im heutigen Sinne des Wortes und
mit der grundsätzlichen Anerkennung des Rechtes zur freien Meinungs-
äuberung, ein Vereins- und Versammlungsrecht, das nur noch wenige
Beschränkungen zugunsten der Ordnung und Sicherheit des Staatsganzen
festgehalten hat, ein so weitgehendes Eingaben- und Bittschriftenrecht,
wie wir es kennen, alles das sind rechtliche Gebilde, die sich ohne die
neuen Verkehrsmittel nicht zu dauernder Geltung hätten bringen lassen.
Auch die vollständige Gleichberechtigung der Bekenntnisse in bür-
gerlicher und staatsbürgerlicher Beziehung und die Aufhebung der
polizeilichen Beschränkungen der Eheschliebung erscheinen als eine
Folge der Anerkennung der persönlichen Freiheit und Gleichberechtigung,
die erst unter der Herrschaft des neuen Verkehrswesens zur vollen
Wirksamkeit gelangen konnte.
Noch klarer vielleicht tritt der Einfluß des vervollkommneten Ver-
kchrswesens hervor in den Gesetzen, welche die rechtlichen Folgen aus
der tatsächlichen Auflösung der alten Gebundenheit an die Ortlichkeit
ableiten. Hierher gehört vor allem die rechtliche Anerkennung der
Wanderfreiheit der Staatsbürger im Innern wie nach auben, wie sie
z. B. in Deutschland durch die Freizügigkeit, das gemeinsame Staats-
bürgerrecht innerhalb des Reichs und die Auswanderungsfreibeit zum
Ausdrucke gebracht ist.
Es ist nur die folgerichtige Anerkennung der veränderten Verkehrs-
verhältnisse, dabß jeder Reichsangehörige in jedem Bundesstaat als In-
länder behandelt wird (Art. 3 der Reichsverfassung), und dab das Frei-
zügigkeitsgesetz vom 1. Nov. 1867 jedem Reichsangehörigen das Recht
gibt, sich innerhalb des Reichsgebiets an jedem beliebigen Orte auf-
zuhalten oder niederzulassen, wo er eine eigene Wohnung oder ein
Unterkommen findet, an jedem Orte Grundeigentum zu erwerben und
ein Gewerbe zu betreiben. Das Gesetz erkannte damit den Zustand an,
den das vervollkommnete Verkehrswesen schon tatsächlich unvermeidbar
gemacht hatte. Deshalb wird man den Grundsatz aufrecht erhalten
müssen, wenn auch vereinzelte Nachteile daraus erwachsen.