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selbst, sondern überläßt das der Regierung oder Verwaltung. Hier
ist die Dispensation ein bloßer Vollzugsakt, die Durchführung des
wahren Willens des Gesetzgebers.
Oder das Gesetz sagt über eine etwaige Dispensation nichts.
Dann will es alle vorausgesetzten Tatbestände unbedingt treffen.
Die Festsetzung einer Ausnahme ist hier Aufhebung des Gesetzes
für den einzelnen Fall, kann also gegenüber der formellen Gesetzes-
kraft nur in Gesetzesform geschehen. Die Dispensation durch einen
bloßen Regierungsakt wäre rechtswidrig (Erlaß des Luciusschen
Fideikommißstempels 1891).
2. Begnadigung ist eine besondere Art der Dispensation,
Befreiung von der Anwendbarkeit von Strafrechts= und Straf-
vollzugsnormen. Geschichtlich erwachsen ist das Begnadigungs-
recht aus der oberstrichterlichen Gewalt des Landesherrn, aus
seiner Befugnis, Strafurteile zu schärfen, zu mildern, auch die
Sache ganz niederzuschlagen. Mit der verfassungsmäßigen Unab-
hängigkeit der Rechtsprechung hat sich das Begnadigungsrecht von
dieser geschichtlichen Wurzel gelöst und ist zu einer besonderen Art
der Dispensation geworden. Das einzelstaatliche Begnadigungs-
recht, für die monarchischen Staaten der deutschen Landesherren,
wird auch gegenüber den Strafnormen des Reiches stillschweigend als
fortbestehend vorausgesetzt. Bei Hochverrat und Landesverrat gegen
Kaiser und Reich steht es jedoch dem Kaiser zu (St PO. § 484).
Begnadigt werden kann von der Anwendbarkeit der Straf-
rechtsnormen, es soll gar kein gerichtliches Verfahren eingeleitet
oder wenigstens kein Urteil gefällt werden. Hier spricht man von
einer Niederschlagung oder Abolition. Sie ist vielfach verfassungs-
mäßig ausgeschlossen oder beschränkt, z. B. in Preußen nach Art.
49 Vll.: „Der König kann bereits eingeleitete Untersuchungen nur
auf Grund eines besonderen Gesetzes niederschlagen.“ Vor der Ein-
leitung der Untersuchung steht dem Könige das Recht der Nieder-
schlagung frei, doch dürfte das kaum praktisch werden, da dann der
König von dem Straffalle keine Kenntnis haben wird. Ist die
Untersuchung eingeleitet, so bedarf es zur Niederschlagung nicht
eines formellen Verfassungsgesetzes, da das Verfassungsverbot nicht
absolut ist, sondern es genügt ein gewöhnliches Gesetz.