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Liegt ein rechtskräftiges Strafurteil vor, so handelt es sich
um die Anwendung der Strafvollstreckungsnormen. Die Befreiung
von ihnen, Erlaß oder Milderung der Strafe, ist Sache der Gnade
im engeren Sinne. Erstreckt sie sich allgemein auf Straftaten
einer gewissen Art, so heißt sie Amnestie. Die Gnade im engeren
Sinne unterliegt im allgemeinen keinen besonderen Beschränkungen.
Reichsrechtlich wird vor Vollstreckung von Todesurteilen eine aus-
drückliche Entschließung des Staatsoberhauptes verlangt, von dem
Begnadigungsrechte keinen Gebrauch machen zu wollen (St PO.
§ 4853.
Bedeutungslos ist die Bestimmung des Art. 49 Abs. 2 der
preußischen VlI., wonach der König einen wegen seiner Amtshand-
lungen verurteilten Minister nur auf Antrag derjenigen Kammer
begnadigen kann, von der die Anklage ausgegangen ist. Denn
hier wird das besondere Anklageverfahren gegen Minister voraus-
gesetzt, das mangels eines Ministerverantwortlichkeitsgesetzes nicht
besteht und auch nicht mehr eingeführt werden kann (vgl. 8 0).
Auch gegenüber Urteilen disziplinaren Charakters ist eine Be-
gnadigung möglich.
3 Pribilegium ist Befreiung eines einzelnen im Wege der
Dispensation unter gleichzeitiger Erteilung eines der allgemeinen
Rechtsnorm widersprechenden subjektiven Rechts. Während die
mittelalterliche Rechtsordnung sich mit Vorliebe in der Form des
Privilegiums fortentwickelte, hat es in der neueren Zeit wesentlich
an Bedeutung verloren, ohne doch gänzlich verschwunden zu sein.
Die alte Streitfrage, ob die Erteilung von Privilegien ein Aus-
fluß der Gesetzgebung ist oder nicht, läßt sich nicht einheitlich be-
antworten. Vielmehr sind auch hier zwei Fälle zu unterscheiden.
Das Gesetz läßt die Erteilung eines Privilegiums aus-
drücklich zu. Hier will der Gesetzgeber selbst die Ausnahme ge-
statten, gibt aber ihre Feststellung einem Regierungsakte anheim.
Die Erteilung des Privilegiums ist hier die Erfüllung des wahren
Willens des Gesetzgebers, ein der Regierung zufallender Vollzugs-
akt. Hierher gehören Privilegien einer Gemeinde zur Aufnahme
einer Anleihe mit Ausgabe von Inhaberpapieren, Privilegien auf
Gewährung des Enteignungsrechts usw.