Full text: Grundriß des Deutschen Staatsrechts.

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Regierung und Volksvertretung, sondern jeden Rechtsstreit aus dem 
Verfassungsrechte, z. B. Thronansprüche verschiedener Prätendenten. 
Für die Entscheidung der Verfassungsstreitigkeit kann der Bundes- 
staat selbst eine Behörde bestimmen, so Hamburg mit Zustimmung 
des Reiches das Reichsgericht, Lübeck und Bremen das hanseatische 
Oberlandesgericht, Oldenburg den Staatsgerichtshof. Soweit eine 
solche Behörde nicht besteht, wie in Preußen und den meisten 
Bundesstaaten, soll der Bundesrat die Verfassungsstreitigkeit auf 
Anrufen eines Teiles gütlich ausgleichen. Der Bundesrat kann 
also weder selbst entscheiden noch ein anderes Organ mit der Ent- 
scheidung betrauen. Er kann nur auf eine Verständigung unter 
den Beteiligten durch Vergleich, Schiedsvertrag usw. hinwirken. Wenn 
der gütliche Ausgleich nicht gelingt, ist der Streit im Wege der 
Reichsgesetzgebung zur Erledigung zu bringen. Im Wege der Reichs- 
gesetzgebung bedeutet unter Zuziehung des Reichstags. Das Gesetz 
hat also hier eigentümlicherweise einen Richterspruch zum Inhalte. 
Da jedoch der Richterspruch in Form des Gesetzes ergeht, ist er an 
die Rechtsordnung nicht gebunden, sondern kann auch neues Recht 
schaffen. Praktische Fälle eines gütlichen Ausgleiches durch den 
Bundesrat: Schiedsverträge unter den streitenden Linien des Hauses 
Lippe von 1896 und 1905. 
3. Justizberweigerung (RV. Art. 77). Wenn in einem 
Bundesstaate der Fall der Justizverweigerung eintritt, und auf 
gesetzlichen Wegen ausreichende Hilfe nicht erlangt werden kann, 
so soll sich der Bundesrat der Sache annehmen. Er hat die Be- 
schwerde über verweigerte oder gehemmte Rechtspflege, die nach der 
Verfassung und den bestehenden Gesetzen des betreffenden Bundes- 
staates zu beurteilen ist, anzunehmen und darauf die gerichtliche 
Hilfe bei der Bundesregierung, die zu der Beschwerde Anlaß 
gegeben hat, zu bewirken. Bei hartnäckigem Widerstande der be- 
treffenden Bundesregierung bliebe nur das Mittel der Bundes- 
exekution gemäß Art. 19 N. 
Der Fall der Justizverweigerung ist wenig praktisch. Denn 
im wesentlichen gehen jetzt die für die Rechtspflege maßgebenden 
Rechtsordnungen vom Reiche aus, und das Reich wahrt sich sein 
Recht der Beaufsichtigung durch Inanspruchnahme der obersten
	        
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