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hat und eine ergänzende Landesstaatsgewalt voraussetzt. Es er-
wuchs damit dem Reiche die Verpflichtung, für die sonst vom
Einzelstaate wahrgenommenen Rechte eine eigene Organisation zu
schaffen. Und das ist die Landesstaatsgewalt in Elsaß-Lothringen.
Elsaß-Lothringen ist nicht Staat. Das ergibt sich geschichtlich.
Denn es war dies nicht während seiner Zugehöbrigkeit zu Frank-
reich. Die Rechte der französischen Staatsgewalt sind auf das
Deutsche Reich übergegangen. Und seitdem ist kein Zeitpunkt fest-
zustellen, in dem Elsaß-Lothringen Staat geworden sein sollte. Es
ergibt sich aber auch staatsrechtlich. Elsaß-Lothringen fehlt zum
Staate nicht weniger als alles. Es hat kein Gebiet, sein Gebiet
ist nur Reichsgebiet und steht zur ausschließlichen Verfügung des
Reiches. Es hat keine Staatsangehörigkeit, diese wäre bei der
Einräumung politischer Rechte in Elsaß-Lothringen an alle Reichs-
angehörigen ohne Inhalt. Seine Bewohner, soweit sie nicht als
Altdeutsche ihre frühere Staatsangehörigkeit behalten haben, sind
nur Reichsangehörige. Es hat keine höchste Staatsgewalt, keinen
Teil unkontrollierbarer Betätigung, seine ganze Organisation steht
zur Verfügung des Reiches und beruht auf Reichsgesetz. Das
Reich hat in Elsaß-Lothringen die volle Staatsgewalt. An dieser
Tatsache hat auch die neue Gestaltung der Verfassung von 1911
nichts geändert, da nach wie vor die ganze Verfassung des Reichs-
landes zur Verfügung des Reiches steht.
Elsaß-Lothringen ist daher Provinz des Reiches. Doch
hat es nicht nur wie die preußischen Provinzen eine verwaltungs-
rechtliche Bedeutung. Vielmehr sind seine Organe auch zu ver-
fassungsrechtlicher Mitwirkung berufen. Es ist daher eine Provinz
von verfassungsrechtlicher Bedeutung gleich den österreichischen
Kronländern.
Nach der Einverleibung des Landes durch das Vereinigungs-
gesetz vom 9. Juni 1871 folgte zunächst eine mehrjährige Periode
kaiserlicher Diktatur. Die oberste Verwaltung führte der Reichs-
kanzler, die provinzielle das Oberpräsidium in Straßburg. Durch
Gesetz vom 25. Juni 1873 wurde die Reichsverfassung eingeführt,
so daß sich seitdem die gesamte Gesetzgebung in den gemeingültigen
Formen unter Zustimmung von Bundesrat und Reichstag vollzog.