Full text: Grundriß des Deutschen Staatsrechts.

— 238 — 
Aber kein Staat kann sich im Zeitalter des Verkehrs gegen das 
Ausland mit chinesischen Mauern abschließen. Immer wird sich 
ein nicht unerheblicher Teil der Inländer im Auslande aufhalten, 
und das Inland mannigfach Ausländer beherbergen. 
Die beiden Herrschaftsobjekte, Land und Leute, werden zu— 
sammengefaßt unter einer höchsten Obrigkeit. Der Staat ist 
Subjekt und Träger dieser umfassenden Herrschaft. 
Die Herrschaft trägt eine Eigentümlichkeit in sich, wodurch 
der Staat sich von allen anderen Organisationen menschlichen Ge- 
meinschaftslebens unterscheidet, die, höchste Gewalt zu sein, keine 
höhere irdische Gewalt über sich zu anzuerkennen. Man spricht da- 
her wohl von einem göttlichen Rechte des Staates, was juristisch 
nur die Verneinung einer höheren irdischen Gewalt bedeuten kann. 
Nach dem Vorgange des französischen Rechtsphilosophen Bodin 
(unter König Heinrich IV.: Six livres de la république 1576) be- 
zeichnet man diese Eigenschaft des Staates als die Souveränetät. 
Die Souveränetät ist also die dem Staate wesentliche und anderer- 
seits nur ihm eigentümliche Eigenschaft, höchste Macht zu sein. 
Diese Eigenschaft äußert sich völkerrechtlich gegenüber anderen 
Staaten, staatsrechtlich gegenüber den eigenen Untertanen. 
Man hat den Staat endlich als Persönlichkeit und als Organis- 
mus bezeichnet, und ihm andererseits diese Eigenschaften bestritten. 
Persönlichkeit bedeutet einen Rechtsbegriff, die Fähigkeit des 
Trägers, subjektive Rechte und Pflichten zu haben. Der Staat ist 
allerdings kein Erzeugnis des Rechts. Doch ist er mit dem Rechte 
untrennbar verbunden, so daß es kein Recht gibt ohne das schützende 
Dach des Staates und des staatlichen Rechtszwanges, keinen Staat, 
der nicht die Verwirklichung des Rechts zur Aufgabe hätte. Darin, 
daß der Staat die höchste Herrschaft über Land und Leute hat, 
liegt bereits ausgesprochen, daß er Subjekt dieser Herrschaft und 
also Persönlichkeit ist. Wenn man dem Staate die Persönlichkeit 
abgesprochen hat, indem man als Staat die Herrschaftsobjekte, 
Land und Leute, als Subjekt der Herrschaft den darüber stehen- 
den Herrscher bezeichnete'), so handelt es sich um einen bloßen 
  
*) Seydel, Grundzüge einer allgemeinen Staatslehre. Würzburg 1873.
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.