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Wortstreit. Die Beschränkung des Begriffes auf die Herrschafts—
objekte entspricht jedenfalls nicht dem herrschenden Sprachgebrauche.
Der Begriff des Organismus gehört dagegen der Naturwissen-
schaft an und kann daher auf den Staat überhaupt nur in bild-
licher und übertragener Bedeutung Anwendung finden. Die Über-
tragung ist nicht neu und findet sich von Plato bis in die neueste
Zeit vertreten. Eine gewisse Bedeutung gewann die organische
Auffassung im Gegensatze zu der mechanischen des Polizeistaates
durch die historische Schule. Dieser Gegensatz ist jetzt überwunden.
Eine Bedeutung hat die alte Streitfrage nach dem organischen
Charakter des Staates nicht mehr. Mit dem bloßen Worte Or-
ganismus wird viel Unfug getrieben.
Der Staat ist höchste Herrschaft über Land und Leute.
Damit ist das Wesen des Staates erschöpft. Wie diese Herrschaft
im einzelnen organisiert ist, das erscheint als eine Frage des posi-
tiven Staatsrechts des einzelnen Staates (vgl. § 54).
Wenn auch nicht für das Wesen des Staates von Bedeutung,
so doch für seine Erkenntnis förderlich sind die weiteren Fragen
nach Entstehung und Zweck des Staates. Beide stehen miteinander
im engsten Zusammenhange.
Wie ist der Staat entstanden?
Die Idce der göttlichen Stiftung beherrscht das ganze
Mittelalter. Der Gedanke kam aber in unlöebaren Widerspruch
mit den Ansprüchen der Kirche. Den charakteristischen Ausdruck
bildet die Zweischwerterlahre des Sachsenspiegels, die wesentlich
abgeändert vom Schwabenspiegel übernommen wird. Die göttliche
Stiftung findet im christlichen Glauben keine Grundlage und ist
innerlich überwunden durch die Reformation. Doch kehrt der Ge-
danke zeitweise immer wieder, so in der Hoftheologie der Stuarts,
unter den restaurierten Bourbonen und Mitte des 19. Jahrhunderts
in Deutschland durch Stahl. Vollends haltlos ist der Gedanke,
daß nicht bloß der Staat an sich, sondern gerade eine bestimmte
Staatsform, die patriarchalische Monarchie, von Gott gewollt sei.“)
Mit der Reformation tritt das Naturrecht das Erbe der
*) Filmer, Patriarcha, geschrieben vor 1653, veröffentlicht 1680; Stahl,
die Philosophie des Rechts, 5. Aufl., 2 Bände, Tübingen und Leipzig 1878.