Full text: Grundriß des Deutschen Staatsrechts.

— 21 — 
Für Durchführung der rechtlichen Ministerverantwortlichkeit 
hatte man in England die Erfahrung gemacht, daß die ordentliche 
Strafrechtspflege versagte gegenüber den höchsten Räten der Krone, 
und deshalb ein Sonderverfahren vor dem Oberhause mit Anklage- 
recht des Unterhauses durchgeführt. Dies haben die Verfassungen 
des Festlandes nachgeahmt. 
In Preußen sollten nach Art. 61 Vll. die Minister durch jede 
der beiden Kammern angeklagt werden können wegen der Verbrechen 
der Verfassungsverletzung, der Bestechung und des Verrats. Zur 
Entscheidung war berufen der oberste Gerichtshof der Monarchie. 
Die näheren Bestimmungen über die Fälle der Verantwortlichkeit, 
das Verfahren und die Strafen blieben einem besonderen Gesetze 
vorbehalten. 
Dieses Ministerberantwortlichkeitsgesetz ist bisher nicht er- 
gangen und kann auch nicht mehr ergehen wegen der Gestaltung des 
Reichsrechts, das nach Art. 2 RV. dem Landesrechte vorgeht. Denn 
die Strafen für die genannten Verbrechen, das Verfahren und das 
zuständige Gericht stehen jetzt kraft gemeinen Rechts fest. Seinen 
obersten Gerichtshof hat Preußen überdies seit 1879 aufgegeben. 
Trotzdem steht die Ministerverantwortlichkeit nicht bloß auf 
dem Papiere. Das gewöhnliche Strafverfahren genügt trotz des 
Anklagemonopols der Staatsanwaltschaft, um auch einen Minister, 
der eine strafbare Handlung begangen hat, zur Verantwortung zu 
ziehen. Außerdem steht jedem, der sich vermögensrechtlich geschädigt 
glaubt, die Geltendmachung des Ersatzanspruchs offen. Die volle 
Unabhängigkeit der ordentlichen Gerichte läßt eine Ausnahme- 
gerichtsbarkeit entbehrlich erscheinen. 
Möglich und durch das Reichsrecht nicht behindert wäre die 
Ausgestaltung der Ministerverantwortlichkeit als eine besondere 
Disziplinargerichtsbarkeit, die neben dem ordentlichen Straf- 
verfahren einhergeht und mit der Dienstentlassung als äußerster 
Strafe. Für Preußen wäre das freilich nicht das von der Vll. 
gewollte und könnte nur im Wege der Verfassungsänderung durch- 
geführt werden. Es wäre aber auch überflüssig, da kein in einem 
unparteilichen Strafverfahren verurteilter Minister sich in seinem 
Amte halten könnte.
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.