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Für Durchführung der rechtlichen Ministerverantwortlichkeit
hatte man in England die Erfahrung gemacht, daß die ordentliche
Strafrechtspflege versagte gegenüber den höchsten Räten der Krone,
und deshalb ein Sonderverfahren vor dem Oberhause mit Anklage-
recht des Unterhauses durchgeführt. Dies haben die Verfassungen
des Festlandes nachgeahmt.
In Preußen sollten nach Art. 61 Vll. die Minister durch jede
der beiden Kammern angeklagt werden können wegen der Verbrechen
der Verfassungsverletzung, der Bestechung und des Verrats. Zur
Entscheidung war berufen der oberste Gerichtshof der Monarchie.
Die näheren Bestimmungen über die Fälle der Verantwortlichkeit,
das Verfahren und die Strafen blieben einem besonderen Gesetze
vorbehalten.
Dieses Ministerberantwortlichkeitsgesetz ist bisher nicht er-
gangen und kann auch nicht mehr ergehen wegen der Gestaltung des
Reichsrechts, das nach Art. 2 RV. dem Landesrechte vorgeht. Denn
die Strafen für die genannten Verbrechen, das Verfahren und das
zuständige Gericht stehen jetzt kraft gemeinen Rechts fest. Seinen
obersten Gerichtshof hat Preußen überdies seit 1879 aufgegeben.
Trotzdem steht die Ministerverantwortlichkeit nicht bloß auf
dem Papiere. Das gewöhnliche Strafverfahren genügt trotz des
Anklagemonopols der Staatsanwaltschaft, um auch einen Minister,
der eine strafbare Handlung begangen hat, zur Verantwortung zu
ziehen. Außerdem steht jedem, der sich vermögensrechtlich geschädigt
glaubt, die Geltendmachung des Ersatzanspruchs offen. Die volle
Unabhängigkeit der ordentlichen Gerichte läßt eine Ausnahme-
gerichtsbarkeit entbehrlich erscheinen.
Möglich und durch das Reichsrecht nicht behindert wäre die
Ausgestaltung der Ministerverantwortlichkeit als eine besondere
Disziplinargerichtsbarkeit, die neben dem ordentlichen Straf-
verfahren einhergeht und mit der Dienstentlassung als äußerster
Strafe. Für Preußen wäre das freilich nicht das von der Vll.
gewollte und könnte nur im Wege der Verfassungsänderung durch-
geführt werden. Es wäre aber auch überflüssig, da kein in einem
unparteilichen Strafverfahren verurteilter Minister sich in seinem
Amte halten könnte.