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Eine neuerdings viel erörterte Frage ist es endlich, ob die
Thronfolge in den verfassungsmäßigen Formen ohne Zustim-
mung der Agnaten geändert werden kann.“)
Man hat diese Berechtigung des Staates geleugnet vom
Standpunkte des göttlichen Rechts der Monarchie. Stützt sich
die Thronfolge auf göttliches Recht, so ist dieses selbstverständlich
der Anderung durch menschliche Satzung entzogen. Diese Auf-
fassung ist weniger in Deutschland als in England unter den
Stuarts, in Frankreich und Spanien unter den Bourbonen ver-
treten und seit dem Wiener Kongresse als Legitimitätsprinzip be-
zeichnet. Allein ein solches göttliches Recht gibt es nicht, und
alles Recht ist als menschliche Ordnung der geschichtlichen Entwick-
lung unterworfen. In England ist seit der Revolution von 1688
die Verteidigung des göttlichen Rechts für Hochverrat erklärt, und
die spanischen Karlisten stützten sich als auf vermeintlich göttliches
Recht auf eine Ordnung, die erst seit der Thronbesteigung der
Bourbonen im Gegensatze zum alten Landesrechte eingeführt war.
Zu lengnen war ferner die Berechtigung des Staates vom
patrimonialstaatlichen Standpunkte. Denn wenn Land und
Leute ererbtes Familiengut, der Landesherr nur der jeweilige Ver-
treter seiner Familie war, so konnte er über die Vererbung des
Familiengutes um so weniger einseitig ohne Zustimmung der Ag-
naten Anordnungen treffen, als die Agnaten als Reichsunmittelbare
gar nicht seiner Gewalt unterworfen waren. Der Patrimonialstaat
ist gefallen, auch die Mitglieder des landesherrlichen Hauses sind
jetzt Untertanen. Damit kann man auch von diesem Standpunkte
aus ein unentziehbares Recht der Agnaten nicht mehr verteidigen.
Endlich soll die Thronfolge ein Organisationsprinzip des
Staates sein, die Voraussetzung des monarchischen Rechts, so daß
der Monarch nicht über sich selbst hinaus könne. Allein auch
Organisationen unterliegen dem Wandel der Dinge, und der
Monarch ist die Verkörperung seines Staates, so daß er in den
verfassungsmäßigen Formen auch den Nachfolger bindet.
*) Vgl. Arndt, Können Rechte der Agnaten auf die Thronfolge nur durch
Staatsgesetz geändert werden? Berlin 1900; Schücking, Der Staat und die
Agnaten, Jena 1902; Friese, Thronfolge und Agnatenrecht, Berlin 1906.