Full text: Grundriß des Deutschen Staatsrechts.

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um die Grundrechte des deutschen Volkes festzustellen, finden sich 
in der geltenden Reichsverfassung kaum Spuren (RV. Art. 3). 
Auch von den einzelstaatlichen Grundrechten sind nur noch 
Trümmer bestehen geblieben. Soweit das Reichsrecht einen Gegen- 
stand geregelt hat, wie Erwerb und Verlust der Staatsangehörig- 
keit, Verhaftung, Beschlagnahme, Durchsuchung, Briefgeheimnis, 
Gerichtsbarkeit, Strafrecht, Wehrpflicht, Auswanderung, Glaubens- 
und Gewissensfreiheit, Preßrecht, Vereinsrecht, sind mit dem gesamten 
Landesrechte auch die grundrechtlichen Bestimmungen außer Kraft 
gesetzt. Die Bestimmungen über das Verhältnis von Staat und 
Kirche sind in Preußen (Vll. Art. 15, 16, 18) während des Kultur- 
kampfes beseitigt. Die über das Unterrichtswesen (Art. 21—26) 
waren bis 1906 suspendiert (Art. 112). Ein umfassendes System 
von Grundrechten wie bei Erlaß der Verfassungsurkunden besteht 
daher nicht mehr. 
Soweit die Gxundrechte in Kraft geblieben sind, handelt es 
sich um Rechtsschranken der Behördentätigkeit, also um mate- 
rielle Verwaltungsrechtsnormen in der Form des Verfassungsge- 
setzes. An der Tatsache, daß die Staatsangehörigen keine Rechte 
gegen den Staat haben, wird durch die jederzeit in der Form des 
Verfassungsgesetzes aufhebbaren Grundrechte nichts geändert. 
Für das umfassende Pflichtverhältnis des Staatsangehörigen 
war die alte Bezeichnung Untertan durchaus passend. 
Die französische Revolution wandte sich gegen diese Bezeich- 
nung. Denn von ihrem naturrechtlichen Standpunkte konnte sie 
nicht an die Pflichten, sondern nur an die Rechte der Staats- 
angehörigen denken. Das Wort Untertan schien überdies, da auch 
der Gutsherr seine Hörigen so bezeichnete, ein Moment der Un- 
freiheit zu enthalten. Die Phrase: „II n#y a plus de sujets“ fand 
daher allgemeinen begeisterten Widerhall. Was sollte nun aber an 
die Stelle treten? Am Vorabende der Revolution hatte Sieyes 
in seiner glänzenden Schrift: Qu'est ce que le tiers-état? den 
Anspruch erhoben, daß der Tiers-état, der Bürgerstand im Sinne 
der ständischen Rechtsordnung, sich decke mit der Nation. Dazu 
kam das Vorbild der antiken Stadtstaaten. Und so ergab sich 
naturgemäß die neue Bezeichnung Citoyen.
	        
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