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schwerwiegende praktische Folgen. Der Eingang der Charte con-
stitutionelle Ludwigs X VIII. von 1814 erklärte, die alten Zeiten
mit den neuen verbinden und in der Pairie eine wahrhaft nationale
Einrichtung erneuern zu wollen. Die erste Kammer sollte eine be-
sondere Vertretung der Reste der alten ständischen Gesellschaft, die
zweite Kammer eine auf Wahl beruhende Vertretung der neuen
staatsbürgerlichen Gesellschaft sein. Nun war aber durch die
französische Revolution die ständische Gesellschaft derart entwurzelt,
daß der Versuch, ihr eine besondere Vertretung zu geben, nicht ge-
lingen konnte. Schon die Verfassung des Bürgerkönigtums von
1830 hat ihn aufgegeben. Und ähnlich ist es in den anderen
romanischen Staaten ergangen. Die erste Kammer, entweder er-
nannt oder auf Grund eines besonderen Wahlsystems gewählt,
verbürgt neben der zweiten noch die Vielseitigkeit der Erwägung,
aber vertritt nur denselben Strom der öffentlichen Meinung, der
sich in der Wahlkammer geltend macht.
Der Versuch, der in Frankreich mißlang, fiel in Deutschland
auf besseren Boden. Hier war die alte ständische Gesellschaft über-
haupt noch viel fester begründet und lebensfähiger gewesen. Durch
die Mediatisierungen waren überdies den Einzelstaaten neue aristo-
kratische Elemente zugeführt worden, die man nicht einfach in der all-
gemeinen staatsbürgerlichen Rechtsgleichheit untergehen lassen konnte.
So wurde denn in den Mittelstaaten und später auch in Preußen die
erste Kammer eine besondere Vertretung der Reste der alten
ständischen Gesellschaft, in den Mittelstaaten neuerdings ergänzt durch
berufsgenossenschaftliche Elemente, die zweite Kammer auf Grund der
Wahl eine solche der modernen staatsbürgerlichen Gesellschaft.
Eine besondere politische Bedeutung neben der Wahlkammer
hat die erste Kammer nur da behaupten können, wo sie wie in
Deutschland ein selbständiges politisches Prinzip in sich trägt und
nicht denselben Zug der öffentlichen Meinung vertritt.
In den deutschen Kleinstaaten reichten die Elemente zur Bil-
dung von zwei Kammern nicht aus, so daß hier das v
system besteht.
Das Volk ist jedoch nur rechtlich eine Summe gleicher Einzel-
wesen. Tatsächlich zerfällt es nach den mannigfachsten Interessen