Full text: Grundriß des Deutschen Staatsrechts.

vom 30. Mai 1855 die Benennung als Haus der Abgeordneten 
eingeführt. 
Die Mitglieder der zweiten Kammer werden gewählt. Nur 
in Württemberg sind bis 1906 Teile der sog. Privilegierten in der 
zweiten Kammer zurückgeblieben. 
Als die deutschen Staaten zum konstitutionellen Systeme über- 
gingen, war für die Gestaltung des Wahlrechts von vorbildlicher 
Bedeutung das Zensuswahlrecht der französischen Charte consti- 
tutionelle von 1814. Vereinzelt machte sich daneben das Be- 
streben geltend, nach einzelnen Besitzklassen wählen zu lassen. 
Aber das Zensuswahlrecht, wonach ein Mindestbetrag an Steuer- 
leistung Voraussetzung des Wahlrechts war, blieb doch über- 
wiegend. Erst in neuester Zeit hat besonders in Süddeutschland das 
Reichstagswahlrecht mit seiner allgemeinen Gleichberechtigung und 
Geheimheitauch für das Verfassungsrecht der Einzelstaaten maßgebende 
Bedeutung gewonnen, so zuerst in Baden, abgeschwächt in Bayern. 
Das Zensuswahlrecht war für Preußen nicht anwendbar, weil 
es bei der wirtschaftlichen Verschiedenheit der einzelnen Landes- 
teile ungleichartig gewirkt haben würde. Die Verordnung vom 
30. März 1849 führte daher das Dreiklassensystem ein, das zu- 
erst auf kommunalem Gebiete, in der rheinischen Gemeindeordnung 
von 1845, angewandt worden war. Die Verordnung, nur vor- 
läufig erlassen und den später ergangenen widersprechenden Artikeln 
der Vll. vorgehend, ist bis jetzt in Kraft geblieben und suspendiert 
daher noch heute Verfassungsrecht. In einzelnen Punkten bringt 
das Gesetz vom 29. Juni 1893 Ergänzungen. 
Das Wesentliche des Dreiklassensystems besteht in folgen- 
dem: In jedem Urwahlbezirke werden die Wähler nach den von 
ihnen gezahlten direkten Staats= und Kommunalsteuern, bei Nicht- 
erhebung von Gemeindesteuern auch unter Einrechnung der staat- 
lich veranlagten Ertragsteuern und für nicht veranlagte Wähler 
unter Ansetzung fingierter Steuersätze von je 3 Mk. in drei Klassen 
geteilt. Die erste Klasse bilden die an Zahl sehr geringen Höchst- 
besteuerten, die das erste Drittel der Gesamtsteuersumme des Ur- 
wahlbezirkes aufbringen. Nach ihrem Ausscheiden wird in gleicher 
Weise eine zweite Klasse der an Zahl schon erheblicheren demnächst
	        
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