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Verantwortung gezogen werden können, ist ihre Unterstellung
unter die parlamentarische Disziplin des Präsidenten.
Als Disziplinarmittel kennt man in Deutschland im Gegen-
satze zu den schärferen Disziplinarmaßregeln des englischen und
französischen Rechts im wesentlichen nur den Ruf zur Ordnung
und den Ruf zur Sache, wenn ein Mitglied gegen die Ordnung
des Hauses verstößt oder von der Sache abschweift. Das hat
die Wirkung, daß, wenn eine solche Maßregel gegen dasselbe Mit-
glied in derselben Sitzung zweimal notwendig gewesen ist, das
Haus beim dritten Male befragt werden kann, ob es den Betreffen-
den noch länger anhören will. Im preußischen Abgeordnetenhause
ist neuerdings auch die Ausschließung eines Mitgliedes von der
betreffenden Sitzung zulässig.
Die Disziplinargewalt des Präsidenten erstreckt sich nur
über die Mitglieder des Hauses, nicht über die Vertreter der
Regierung. Das ist namentlich von Bismarck in der Konflikts-
zeit gegenüber dem Präsidenten des Abgeordnetenhauses immer mit
Entschiedenheit betont worden. Es kann hcbchstens für zulässig
erachtet werden, daß der Präsident ein Mitglied der Regierung auf
den parlamentarischen Brauch hinweist und eine Außerung als
gegen diesen verstoßend bezeichnet. Aber eine eigentliche Disziplinar=
gewalt hat er nicht, wie es auch verfassungswidrig sein würde,
einem Mitgliede der Regierung das Wort zu entziehen.
Die äußerst schwache Disziplinargewalt des Präsidenten hat
sich bisher im wesentlichen für die einzelstaatlichen Volksvertretungen
als ausreichend erwiesen.
* 21. Rechte der Volksvertretung.
Unter Rechten der Volksvertretung sind hier nicht deren subjektive
Rechte, sondern die Rechtsstellung überhaupt zu verstehen. Zu unter-
scheiden ist zwischen den Rechten der einzelnen Mitglieder der Volks-
vertretung und den Rechten der Volksvertretung in ihrer Gesamtheit.
1. Rechte der einzelnen Mitglieder.
a) Außerungsfreiheit.) Sie ist jetzt allgemein reichsrecht-
lich gegründet auf § 11 St GB.: „Kein Mitglied des Landtags oder
*) Vgl. Hubrich, Die parlamentarische Redefreiheit und Disziplin, Berlin 1899.