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Parteigetriebe des konstitutionellen Staates. Rechtspolitisch wurde
sie besonders gefordert unter dem Hinweise auf England und
wissenschaftlich begründet durch Gneist und L. Stein. Die erste
praktische Durchführung erfolgte durch die badische Gesetzgebung
von 1863. In Preußen schuf die Gesetzgebung den ersten Ansatz
der neuen Verwaltungsgerichtsbarkeit durch die Kreisordnung von
1872. Der weitere Ausbau für die Kreisordnungsprovinzen ge-
schah durch die Gesetzgebung von 1875/76 unter Begründung des
Oberverwaltungsgerichts. Derzeit bilden die Rechtsgrundlagen das
Landesverwaltungsgesetz vom 30. Juli 1883, das Zuständigkeits-
gesetz vom 1. August 1883 und für die Organisation des Ober-
verwaltungsgerichts die stehen gebliebenen §§ des Verwaltungs-
gerichtsgesetzes vom 3. Juli 1875 mit Novelle vom 2. August 1880.
Die Verwaltungsgerichtsbarkeit ist Rechtsprechung, d. h. An-
wendung des Rechts durch Vollzugsakte in richterlicher Unab-
hängigkeit und in prozessualen Formen. Vom Zivilprozesse unter-
scheidet sie sich, entgegen einer weit verbreiteten Ansicht, dadurch,
daß grundsätzlich nicht über subjektive Rechte des einzelnen ent-
schieden wird. Denn subjektive Rechte des einzelnen gegenüber der
allbeherrschenden Staatsgewalt, die von ihm nicht rechtlich gebunden
werden kann, sind unmöglich, und die als Partei auftretenden
Behörden sind keine eigene Persönlichkeit, sondern nur Organe des
Staates. Vom Strafprozesse unterscheidet sich die Verwaltungs-
gerichtsbarkeit dadurch, daß in ihr kein Bruch der Rechtsordnung
zur Sühne gezogen wird. Der Verwaltungsrichter wendet nur
objektives Recht an. Doch den Anlaß dazu hat die Partei gegeben,
die sich durch Anordnung einer Behörde verletzt glaubt und des-
halb die Verwaltungsklage erhebt. Indem der Verwaltungsrichter
das Recht anwendet, übt er eine Rechtskontrolle über die Behörde
und gewährt dadurch dem Betroffenen individuellen Rechtsschutz.
Nur wo sekundär aus dem Verwaltungsrechte subjektive Rechte
und Pflichten für Korporationen, Anstalten und Einzelpersonen
gegen einander erwachsen, kann auch der Verwaltungsrichter in die
Lage kommen, über subjektive Rechte zu entscheiden.
Während im allgemeinen über jede Straftat im Wege des
Strafprozesses, über jedes streitige Privatrecht im Wege des Zivil-