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In noch höherem Maße findet eine Heranziehung des Militärs
zur Erfüllung polizeilicher Aufgaben statt bei dem sog. Kriegs-
und Belagerungszustande. Seine üÜbertragung auf innere Un-
ruhen entstammt dem französischen Gesetze vom 8. Juli 1791 und
wurde durch Gesetz vom 4. Juli 1851 auf Preußen verpflanzt.
Die Erklärung des Belagerungszustandes gilt nach Art. 68 der
Reichsverfassung, mit Ausnahme von Bayern, als Ausfluß der
kaiserlichen Kommandogewalt. Doch ist wegen der weiteren Aus-
führung vorläufig das preußische Gesetz von 1851 als Reichsgesetz
in Kraft geblieben.
Voraussetzung der Erklärung des Belagerungszustandes ist
im Kriege Bedrohung oder Besetzung einer Provinz vom Feinde
oder bei Aufruhr dringende Gefahr für die öffentliche Sicherheit.
Die Verkündigung muß in feierlicher Weise erfolgen. Die Haupt-
wirkung ist, daß die vollziehende Gewalt auf die Militärbefehls-
haber übergeht, und die Zivilbehörden, soweit sie in Wirksamkeit
belassen werden, nur noch innerhalb des Rahmens der militärischen
Verwaltung tätig sind. Außerdem treten Preß-, Vereins= und
Versammlungsfreiheit außer Kraft, gewisse Straftaten unterliegen
einer härteren Bestrafung und können auch gegenüber Zivilpersonen
kriegsgerichtlich abgeurteilt werden.
Ob daneben auch der Belagerungszustand kraft Landesrechts
erklärt werden kann, ist bestritten, jedoch zu verneinen.
Auch ohne Erklärung des Belagerungszustandes kann das
Staatsministerium nach dem Gesetze von 1851 bei Krieg und Auf-
ruhr Art. 5, 6, 27—30 und 36 der Verfassungsurkunde bezw. die
an deren Stelle getretenen reichsrechtlichen Normen zeit= oder distrikt-
weise suspendieren.
Für Schäden bei inneren Unruhen haften nach dem Gesetze
vom 11. März 1850 in den alten Provinzen die Gemeinden, ähn-
lich in einzelnen Teilen der neuen Provinzen.
§ 29. Die Formen der Polizeiverwaltung.
Zur Durchführung ihrer Aufgaben bedient sich die Polizei des
obrigkeitlichen Befehls, entweder in der Form der Rechtsnorm oder
der tatsächlichen Anordnung.